Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
mit Essig ausgewaschen, und da Lazarus in tiefer Ohnmacht lag, war alles ohne großen Lärm geschehen. Tringin hatte Bandagen geschnitten und die Wunde damit verbunden.
Heute würde der Barbier einen weiteren Besuch wagen, obgleich er nach der Operation wenig Hoffnung für das Überleben des Mannes geäußert hatte. »Obwohl, er ist jung, sein Herz kräftig, vielleicht ...«
Tringin und Luthger hatten gebetet, nach ihrer Art, in jedem Fall voll Gottvertrauen, und der Herr schien sie zu erhören, denn Lazarus lebte noch. Doch sein Fieber stieg wie eine Flamme. Ein Abszeß hatte sich auf der Wunde gebildet, er delirierte häufig und schrie manchmal nach Wasser. Schweren Herzens erstickte Tringin die Schreie des Schwerverwundeten jedesmal mit einem Knebel, bevor sie ihm dann etwas Flüssigkeit einflößen konnte.
Ein leises Pochen an der Brettertür, ein Flüstern, die Stimme des Wirtes. »Ich bringe den Barbier, Schwester, öffne die Tür.«
Tringin schlüpfte hinüber und öffnete. Das Licht der kleinen Fackel, die der Wirt vor sich her trug, blendete sie, nachdem sie Tage und Nächte nur bei dem Licht eines kleinen Talglichts gesessen hatte.
Der Barbier nickte stumm zum Gruß und ging direkt zum Krankenlager, kniete nieder und öffnete die Bandagen. Ernst schüttelte er den Kopf. »Wenn nur der Eiter abfließen würde«, sagte er. Nachdenklich strich er sich den Bart. Der Wirt und Tringin schauten ihn erwartungsvoll an. »Ich kenne nur eine Behandlung, aber sie ist äußerst schmerzhaft und nicht immer von Erfolg gekrönt. Ich zögere, sie anzuwenden.«
»Tut es«, sagte Tringin entschlossen, »schlimmer als jetzt kann es kaum werden.« Der Barbier warf ihr einen raschen Blick zu. Auch er war heimlich einer anderen Religion als der katholischen zugetan. Er war, wie viele Niederländer, Calvinist, aber großherzig genug, um in dem Greis und seiner Tochter ebenfalls Verfolgte und damit Menschen zu erkennen, die ähnlichen Gefahren wie er selber ausgesetzt waren.
Titelmans, der Beauftragte der spanischen Inquisition in den Niederlanden, trieb nun schon seit Monaten sein Unwesen – verhaftete Menschen, weil sie in ihren Häusern beteten, folterte andere, weil sie die Mütze nicht vor dem Kreuze zogen. All das genügte, um aus Brabantern, Holländern, Zeeländern und Flamen eine Einheit zusammenzuschweißen, die einen gemeinsamen Feind hatte, und der hieß Philipp. In Zeiten wie diesen fragte darum keiner lange nach dem Woher oder Wohin eines Verfolgten.
»Holt mir kochendes Öl«, wies der Barbier den Wirt an, »und bringt einen Mann mit, der den Kranken festhalten kann.« Der Wirt verschwand eilig. »Besser, du gehst eine Weile an die Luft«, riet er Tringin, »was jetzt kommt, ist selbst für männliche Gemüter nur schwer zu ertragen.«
Tringin schüttelte den Kopf. »Nein, ich bleibe. Dieser Mann dort hat mehr für mich und meinen Vater erduldet, als wir ihm je vergelten können. Ich werde bei ihm bleiben.« Sie schluckte kurz. »Und wenn es seine letzte Stunde ist, dann werde ich ihm die Hand halten, bis er die Augen schließt, und seine Seele Gott empfehlen.«
»Amen«, flüsterte der Barbier. Luthger und der Wirt erschienen in der Tür und trugen eine Pfanne mit siedendem, zischenden Öl.
Der Geruch verbrannten Fleischs nahm den drei Menschen am Krankenlager beinahe den Atem. Der Barbier hatte Lazarus’ Wunde mit dem kochenden Öl ausgebrannt. Die rohen Schmerzen hatten den Verwundeten ohnmächtig werden lassen.
»Wird er überleben?« fragte Luthger mit belegter Stimme.
Der Barbier wiegte vorsichtig den Kopf. »In meiner Profession gibt es keine sicheren Vorhersagen.«
Der Wirt räusperte sich. »Mit Verlaub, wie lange kann seine Heilung dauern? Hier in der Gegend wimmelt es seit Tagen von spanischen Söldnerunternehmern. Ein Trupp Werber haust bei mir, sie werben Freiwillige für König Philipp. Es ist unruhig im ganzen Land, ich möchte es nicht auf eine Visitation meines Kellers anlegen.«
Tringin warf dem Mann einen ärgerlichen Blick zu. Der Bader seufzte. »Guter Mann, soviel kann ich Euch versprechen, wenn er die nächsten drei Tage übersteht, dann gibt es Hoffnung, dann könnte er in ein, zwei Wochen dieses Quartier verlassen und in eines Eurer Zimmer ziehen.«
»Unmöglich!« protestierte der Wirt, der seinen Großmut zu bereuen begann.
»Ihr könnt einem Schwerkranken nicht die Tür weisen«, empörte sich der Bader, »vergeßt nicht, er ist Euer Glaubensbruder.« Luthger und Tringin
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