Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
entsteinten Kirschen und stopfte sich genüßlich eine Handvoll Früchte in den Mund. Blutrot rann der Saft von seinen Mundwinkeln herab.
»Ihr habt recht.« Der Kaufherr seufzte. »Langsam scheint es mir angebracht, mich eines gewissen Schutzes zu versichern. Man kann nicht genug auf seinen guten Ruf achten.«
»Schon gar nicht als Kaufmann«, bestätigte der Gewaltrichter und wischte sich mit einem Mundtuch das Gesicht. »Es wäre mir eine Ehre, Euch zu Diensten zu sein.«
Van Geldern strich mit dem Zeigefinger über den Rand seines Weinpokals. »Gebt mir ein wenig Bedenkzeit«, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit, »dann werde ich Euch ein Angebot machen können, das Ihr nicht zu verachten braucht. Ein Mann von Eurer Bedeutung sollte genügend Mittel haben, um sie auch hervorzustreichen.«
Der Gewaltrichter lächelte wie geschmeichelt. »Ich danke Euch, van Geldern. Für dieses köstliche Essen. Besonders diese Kirschen ...«
»Ich werde dem Koch Anweisung geben, einige Krüge davon zu Euch schicken zu lassen. Es war eine reiche Ernte im letzten Sommer.«
»Fürwahr eine reiche Ernte.« Der Gewaltrichter nickte zufrieden.
Van Geldern erhob sich und verließ mit einem letzten stummen Gruß den Morgensaal. Der Gewaltrichter blieb zurück, um gegen die Welle heftiger Übelkeit anzukämpfen, die ihn plötzlich befiel. Geschäfte mit dem Kaufherrn van Geldern hatten immer einen üblen Beigeschmack. Argwöhnisch betrachtete er das leere Kirschenschälchen.
8
I n den Gängen des Wirtshauses herrschte rege Geschäftigkeit. Mägde flitzten aufgeregt hin und her, schleppten Wasserkrüge und Leinenzeug. Knechte wurden aufgescheucht, um Brennholz zu hacken. »Aber keine feuchten Scheite, wie Ihr sie für meinen Kamin gebraucht«, herrschte der Feldhauptmann den Wirt an. »Ich weiß, daß Ihr mit solchen Schäbigkeiten gegen meine spanische Tracht rebelliert, aber wenn Ihr meinen Freund Lazarus ähnlicher Unbill ausliefert, dann gnade Euch Gott. Welcher auch immer.« Schon wandte der Mann sich ab und stürmte in die helle, geräumige Schlafkammer, die man für Lazarus hergerichtet hatte.
Tringin empfing ihn mit scheuem, ehrfurchtsvollem Blick. Trotz der feindlichen Uniform erkannte sie einen gutherzigen, stattlichen Mann in dem Söldnerführer. Er mochte gut fünfundvierzig Jahre zählen, vielleicht auch weniger, ein unstetes Leben konnte seine Alterung beschleunigt haben. Sein von grauen Strähnen durchzogener Bart war gepflegt, auch seine Kleidung verriet Sorgfalt und vielleicht eine Spur von Eitelkeit. Das einzige, was in seinem Gesicht jedoch den Anspruch auf Schönheit erheben konnte, waren die dunklen Augen, die im Zorn drohend wirken mochten, im Moment aber nichts als wärmste Besorgnis ausdrückten.
Unbeholfen stand der Kriegsmann nun neben dem Bett des Verwundeten. Ihm blieb nichts mehr zu tun, nachdem er alle Befehle zur Umbettung und Pflege von Lazarus gegeben hatte. Tatenlosigkeit, das sah man deutlich, war ihm zuwider.
Tringin ging beherzt zu ihm. »Wir können nichts tun, außer zu hoffen und zu beten«, sagte sie beruhigend. »Seine Ohnmacht kam zur rechten Zeit, er würde die Schmerzen sonst kaum ertragen haben.«
Der Feldhauptmann biß sich auf die Lippen. »Ein viehisches Verfahren. Selbst meinem Gaul würde ich es nicht zumuten. Wie roh die Wunde aussah.« Er drehte sich ungeduldig auf dem Absatz um, riß die Tür auf und brüllte in den Gang: »Wo bleibt der verfluchte Feldscher? Treibt ihn auf. Wenn er betrunken in den Armen einer Hure liegt, dann treibt ihn mit Stockschlägen her!«
Mit einem Knall schloß er wieder die Tür. »Ist ein verflucht guter Wundenflicker. Der hat mir schon ein halbes Dutzend Kugeln aus dem Fleisch geschnitten. Aber«, er wandte sich wieder zu dem Bett, »der da, der ist der einzige, der mir wirklich mal das Leben gerettet hat. Ich sag’s dir, Mädchen, bei St. Quentin, als es gegen die Franzosen ging, wäre es um mich geschehen gewesen, wenn er sich nicht vor mich geworfen und mit einem Degenhieb meinem Angreifer die Schwerthand vom Arm getrennt hätte.«
Tringin unterdrückte ein Schaudern. »Sprecht leiser, werter Mann, die Unruhe schadet dem Verwundeten.«
Zu ihrer Überraschung schwieg der Feldhauptmann betreten. Flüsternd fuhr er fort: »Vielleicht wunderst du dich über die Heftigkeit meines Gefühls, aber einer wie ich findet selten einen Freund, der bereit ist, sein Leben für das eines anderen zu geben. Lazarus war ein seltsamer Soldat. Voller
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