Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Todesverachtung und dabei von melancholischer Natur. Ein Grübler, ein kluger Geist, vielleicht zu klug für diese grobe Welt. Seine Seele blieb mir immer ein Geheimnis. Kennst du seine Geschichte?«
Tringin senkte den Blick. »Ein wenig«, bemerkte sie vorsichtig.
»Calvin ließ seinen Vater brennen«, bemerkte der Feldhauptmann knapp, »hat seinen Sohn schwermütig gemacht und doch nicht zum Menschenfeind. Dazu gehört eine starke Natur. Seltsame Liebe, mit der er an Menschen hängt, obwohl er die Menschheit zu verachten scheint. Manchmal wünschte ich, auch ich könnte über soviel Tiefe des Gefühls verfügen. Hingegen, wenn ich an meine Sippe denke ...« Er spuckte aus.
Tringin seufzte erleichtert auf. Obwohl in spanische Tracht gewandet, schien den Kriegsmann die Ketzerfrage nicht weiter zu bedrücken. »Als Ihr in den Keller kamt, sagtet Ihr, daß alle Feinde Spaniens auch die Euren seien, wie verträgt sich das mit Eurer Fürsorglichkeit?« fragte sie mutig und fast ein wenig scherzend.
Der Feldhauptmann stieß ein trockenes Lachen aus. »Der Krieg ist ein Geschäft, Mädchen. Ich bin im Rheinischen geboren und habe wie beinahe jeder Söldner schon auf allen Seiten gekämpft, für jeden, der mich zahlt. Mir ist es eins, welchem Glauben ein Kriegsherr anhängt. Es gibt nur eins, das ich wirklich verabscheuen muß, und das ist der Frieden. Er läßt mich verhungern. Wenn einer wie ich nichts zu kämpfen hat, dann ist schimmeliges Stroh sein Bett, ranziger Speck seine Kost und Regen sein Waschwasser.«
Er seufzte und hockte sich auf einen Schemel neben Lazarus’ Bett. »Ich brauche den Krieg, obgleich ich mich manchmal durchaus nach einem Leben in Frieden sehne. Aber zu vieles trennt mich davon.«
Nachdenklich betrachtete Tringin den Feldhauptmann. Kein Zweifel, auch er hatte ein Leben hinter sich, das schwer und leidvoll gewesen war. Die Wunden seiner Seele gingen tiefer als alle Narben auf seinem Körper. Plötzlich fühlte sie, daß die Erfahrung von Leid, wo sie nicht zur Verrohung der Seele führte, ein weit festeres und zärtlicheres Band zwischen Menschen knüpfen könnte als jede Religion. Es war etwas, das ihr Vater nie begreifen würde. Etwas, für das das Wort Liebe stand.
Die Tür zur Kammer öffnete sich. Der Feldscher trat ein, ein wieselflinker, drahtiger Mann, den niemand ernsthaft der Hurerei oder Trunkenheit verdächtigen konnte. Tringin lächelte leise, während der Mediziner mit geübten Fingern die Wunde freilegte.
»Äußerst rohe Behandlungsmethode«, stellte er sachlich fest, »aber nicht ganz verkehrt.«
Der Hauptmann knurrte unwillig. Der Feldscher setzte Kanülen an die Wunde, um sie vollständig vom Eiter zu entleeren, dann strich er eine Salbe aus Eigelb, Terpentin und Rosenöl auf.
»Du mußt ihm nun regelmäßig warme Umschläge aus einem Aufguß aus Salbei, Rosmarin, Thymian, Lavendel, Kamillen, in Weißwein gedämpften roten Rosen und gewaschener Eichenrinde machen. Alles, was du brauchst, werde ich dir bringen lassen«, sagte er an Tringin gewandt. Sie nickte.
»Und das wird helfen?« fragte der Feldhauptmann aufbrausend.
»Das und viel Ruhe. Ich werde dem Verwundeten auch etwas Opium geben, damit er seine Schmerzen leichter erträgt. Mehr läßt sich nicht tun.«
»Besteht Hoffnung?« fragte Tringin.
»Hoffnung, mein Kind, besteht immer. Und nun, Herr Hauptmann, überlassen wir dieses Schlachtfeld dem Weib. Das Mädchen hier ist für die Pflege eines Verwundeten besser geeignet als ein lärmender Knasterbart wie Ihr einer seid.«
9
M elina betrachtete ihre junge Herrin mit ernsthafter Sorge. Seit Tagen schon glänzten Julianas Augen wie vom Fieber, unruhig und fahrig waren alle ihre Bewegungen. Den Nachmittag nach der Messe hatte sie im zornigen Selbstgespräch verbracht, war murmelnd in ihrem Schlafgemach auf und ab gelaufen, als hocke ihr der Leibhaftige im Nacken. Die schwarze Zofe saß auf einem gepolsterten Schemel in einer Ecke neben dem Bett. Lange hatte sie nicht gewagt zu sprechen, der Raum war nun dunkel, wie der Abend vor den Fenstern. Jetzt wollte sie dem Spuk, der in Julianas Kopf zu toben schien, ein Ende setzen.
»Herrin, es ist an der Zeit. Ihr müßt Euch für Gebet und Abendmahlzeit umkleiden.«
Juliana wandte unwirsch den Kopf zu ihr, mußte sie im Dunkel der Ecke suchen. Als sie die Magd entdeckte, fuhr sie auf. »Ich gehe nicht zur Abendmahlzeit. Ich bin krank, sage das meinem Vater. Geh nur, geh.«
Melina erhob sich langsam. »Euer
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