Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
widersprachen nicht.
Der Wirt brummte noch vor sich hin, als plötzlich schwere Stiefel die Treppe heruntergepoltert kamen.
»He da!« rief ein Mann. »Wirt, wir sind durstig, wo steckst du?« Bei seinen letzten Worten hatte der Kerl die Tür zum Kellerverlies aufgestoßen. Erstaunt erfaßte sein Blick die Gruppe, die das Lager des Schwerverletzten umstand. Angeekelt rümpfte er die Nase, der Gestank war unerträglich. Dennoch trat er ein und schob mit der gebieterischen Geste eines spanischen Feldhauptmannes den Bader und den Wirt zur Seite. Er warf einen Blick auf das Krankenlager. »Wen zum Teufel versteckt ihr hier? Elendes, niederländisches Pack. Alle Feinde Philipps sind auch die meinen.«
6
S tumm hielt Columba die Hand ihrer Tante. Für einen Moment waren alle eigenen Sorgen vergessen. Lange hatte sie die Muhme nicht mehr besucht, hatte nichts von ihren Qualen gewußt. Wie blaß und mager Rebecca war. Unruhig flatterten ihre Augenlider über hohlen, ausgezehrten Wangen. »Liebe Tante«, flüsterte Columba erschrocken, »was ist mit dir? Warum bist du so elend?«
Rebecca stöhnte. Columba sah, daß sie etwas sagen wollte, doch ihre gesprungenen Lippen verrieten, wie trocken ihr die Kehle war. Rasch lief Columba nach einem Krug mit Wein und Wasser. Sie roch daran und hielt den Krug angewidert von sich weg. Ohne zu überlegen, rannte sie aus der Tür, die Treppe hinab in die Küche, goß den Inhalt des Kruges aus dem Fenster und füllte ihn mit frischem Wein. Sie lief zurück in die Kammer der Kranken und flößte Rebecca von dem frischen Getränk ein.
Unter großen Mühen schluckte die Tante, sank zurück auf das Lager und fuhr sich langsam mit der Zunge über die Lippen. »Wie süß und köstlich dieser Wein ist«, flüsterte sie verwundert, »ich danke dir Columba. Aber warum bist du gekommen?«
»Ich bin zu dir gekommen, um an deiner Seite zu leben«, begann Columba. »Ich habe vor der Gemeinde meinen Entschluß bekannt gemacht. Ich werde mich um dich kümmern. Warum ist keine Krankenwärterin bei dir? Weshalb läßt man dich so allein? Wie unbarmherzig deine Mitschwestern sind.«
Endlich gelang es Rebecca, die Augen zu öffnen. Mit wehem Blick schaute sie die Nichte an. »Du brauchst nichts zu sagen, liebe Tante, wenn es dich zu sehr anstrengt. Ich laufe nach unten und werde etwas Brei holen. Du mußt essen!«
Rebecca wollte den Kopf schütteln, doch Columba achtete nicht weiter darauf. Sie ließ ihr kleines Bündel mit Kleidern und Leibtüchern in der Ecke liegen und flog wieder die Treppe hinab in die Küche. Sie hatte gehofft, die Kornmeisterin anzutreffen, doch statt dessen standen nun zwei mißmutige Frauen in Beginentracht beim Herd, rührten eine Suppe um und schnitten Kohl hinein.
»Wo ist die Kornmeisterin?« fragte Columba erstaunt und mit einem Unterton des Zorns.
Eine der Frauen, Hergard war ihr Name, warf dem Mädchen einen ärgerlichen Blick zu. »Was fällt dir ein, so mit uns zu sprechen? Eine Novizin hat darauf zu warten, bis man sie anspricht oder ihr Befehle erteilt.«
Columba war nicht Novizin genug, um diesen Tadel demütig entgegenzunehmen. »Ich spreche nicht als Novizin, sondern als Nichte. Warum kümmert sich niemand um die Magistra? So elend, wie sie ausschaut, hat sie seit Tagen nichts Rechtes gegessen. Ist das eure Art, einer großherzigen Stifterin zu danken, die euch Unterkunft und Auskommen verschafft?«
Hergard straffte den Rücken, die andere Frau sah betroffen drein. »Sie selbst«, erwiderte nun Hergard, »verweigert jede Nahrung. Erst recht, seit die Kornmeisterin zu Tode gekommen ist.«
Columba erbleichte. Die Kornmeisterin tot? Unmöglich. Das Bild der drallen, rotwangigen Begine erschien vor ihr. Nichts erinnerte darin an Vergänglichkeit, an Krankheit, an Tod. »Unmöglich«, sagte sie.
»Unmöglich?« wiederholte Hergard höhnisch. »Du kannst ihr Grab besuchen. Es ist schon nicht mehr ganz frisch, wurde aber rasch geschaufelt.«
Columba nahm kraftlos auf einem Schemel Platz. »Wie konnte das geschehen?«
Hergard öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch diesmal kam ihr die andere Begine zuvor. »Ein Unfall, sie stürzte des Nachts die Treppe hinab.« Hergard wandte sich dem Herd zu und schwieg.
Columba seufzte. »Kein Wunder, daß meine Tante nicht essen mag. Sie hat sehr an der Kornmeisterin gehangen.«
Hergard schnaubte verächtlich, die andere Begine legte beschwichtigend ihre Hand auf ihren Arm. Dann lief sie nach einer Schöpfkelle und
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