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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Hände und sank bewußtlos zu Boden. In einer einzigen Bewegung streckte sie alle Glieder von sich und lag starr da.
    Der Kerkermeister beugte sich zu ihr hinab, Gehilfen eilten herbei, um Rebecca aufzurichten. Umsonst. Niemand war imstande, ihre Glieder zu lockern oder in eine andere Lage zu bringen. Betroffen schauten Greve und Schöffen auf die Frau, deren Gesicht von einem überirdischen Lächeln beseelt schien.
    »Ist sie tot?« fragte hilflos einer der Schöffen. Der Greve zuckte mit den Achseln. Der Kerkermeister nickte heftig.
    »Bringt mir eine Nadel!« schrie Galisius schrill. »Eine Nadel, so wie man sie zum Zusammennähen von Säcken braucht.«
    Die anderen betrachteten sich schweigend, forschend, voll Mißtrauen. Ein jeder versuchte unauffällig, in der Miene des anderen abzulesen, ob auch er wahrnahm, was jeder im Raum wahrgenommen hatte: ein süßer, köstlicher Rosenduft hatte die dumpfe Luft des Kerkerlochs durchzogen, als Rebecca von Christus gesprochen hatte. Rosenduft. Im April. Unmöglich. Und doch. Die Rose, das Blut Christi. Konnte es sein, durfte es sein, daß sie eben Zeuge einer himmlischen Erscheinung geworden waren?
    Blut trat in kleinen Tropfen aus den Wunden an Fußsohlen und Händen. Doch die Frau am Boden rührte sich nicht, stöhnte nicht, zeigte keine Anzeichen von Schmerz. Noch einmal fuhr Galisius mit der Nadel in Rebeccas Leib, wieder Blut, wieder kein Aufschrei.
    »Bringt mir heißes Blei!« herrschte er ungeduldig die Kerkerknechte an. »Ich muß diesen Zauberschlaf brechen«.
    Einer der Schöffen erbleichte. »Das könnt Ihr nicht tun!«
    »Es gehört zu der Prüfung«, sagte Galisius kalt und schlug Rebecca mit erstaunlicher Kraft die geöffnete Hand ins Gesicht. Die Spuren seiner beringten Finger zeichneten sich deutlich auf ihren bleichen Wangen ab, doch ihr Lächeln blieb unverändert.
    »Haltet ein«, verlangte nun der Greve mit belegter Stimme. »Ihr seht, daß sie nichts von den Torturen empfindet. Sie ist unserem Einfluß ganz entrückt. Es ist ein Wunder.« Erleichtert hielt er inne, erleichtert darum, weil er sich ermannt hatte, die Wahrheit auszusprechen. Eine gottgegebene Wahrheit, genau wie der Rosenduft, der ganz leise noch in der Luft hing wie ein Federwölkchen am Frühlingshimmel.
    Einer der Schöffen strich sich den Bart. »Vielleicht ist etwas daran, was der Greve sagt. Denkt an die Legenden der heiligen Brigitta, an Christina von Stommeln.«
    Galisius richtete sich ärgerlich auf. »So schnell laßt Ihr Euch narren und verführen? Seht Ihr nicht, daß auch Satan hier wirken könnte? Seine Macht ist groß, unfaßbar groß, leicht kann er seine Buhlen über jeden Schmerz erhaben machen.«
    »Auch gegen das Kreuz? Sie selber küßte es«, warf der Schöffe mutig ein. »Hältst du die Macht der heiligen Symbole für so gering, daß Satan sie wirkungslos machen könnte?«
    »Und sie redete Euch selber mit dem Namen des Erlösers an. Satan aber verabscheut seinen Namen, erträgt nicht die Erwähnung Christi in seiner Gegenwart.«
    Ein Rascheln war die Antwort. Rebecca regte sich, seufzte, dann schlug sie die Augen auf. »Herr, ich danke dir für deine Güte«, sagte sie mit weicher Stimme und hob den Blick zur Gewölbedecke. Galisius hatte einen Satz zur Seite gemacht. Rebecca wandte ihm nun freundlich die Augen zu.
    »Ihr habt mich das Martyrium des Herrn nachempfinden lassen, ich danke Euch.« Sie streckte ihre blutenden Hände aus.
    »Frevlerin, Teufelsweib!« stieß Galisius hervor. »Was sprichst du vom Martyrium! Keinen Wehlaut hast du ausgestoßen während der ganzen Prozedur, keine Klagen.«
    »Ich war in Christo. Auch er litt geduldig. Sein Lächeln erfüllte mich mit ganzer Süße. Ich kostete Gott, und mir mangelte an nichts. Er sagte mir, ich solle auf seine Wunden schauen, wobei er mir vom Haupt bis zu den Füßen seine Leiden zeigte, sogar die ausgerissenen Haare des Bartes, und er zählte alle Geißelschläge auf.«
    Die Schöffen und der Greve betrachteten die Frau mit Ehrfurcht. Selbst Galisius schien schwankend zu werden, denn er räusperte sich und schwieg.
    Die Knechte erschienen in der Tür zum Verlies, an einer Holzstange balancierten sie einen Eimer mit kochendem Blei, giftig stiegen die bitteren Dämpfe empor. Der Pesthauch der Hölle schien Einzug zu halten.
    Die Schöffen rissen ihre Mundtücher hervor und hielten sie sich vor das Gesicht. Der Greve hustete, nur Galisius schien an die giftigen Schwaden gewohnt.
    »Mit Verlaub«, sagte der

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