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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Greve heiser, »aber ich verbiete diese Überprüfung. Die Beschuldigte befindet sich nicht mehr im Zustand der Ekstase. Das Blei zu verwenden wäre nichts als unsinnige Folter. Ihr kennt die Vorschriften, Galisius.«
    Der Inquisitor mußte es widerwillig eingestehen. Natürlich kannte er die genauen Vorschriften über die Anwendung des peinlichen Verhörs, seine Dauer, seine langsam zu steigernde Intensität. In diesem Stadium, in dem es eher um einen Fall des Exorzismus zu gehen schien, war die Anwendung des Bleis verfrüht. Handauflegen, Bekreuzigungen, allenfalls die schon vollzogene Nadelprobe und das Anhauchen der Besessenen waren geboten.
    »Laßt Weihwasser vom Dom herüberbringen«, entschied er endlich. »Wir wollen sehen, ob sie es auf ihren Wunden zu ertragen weiß.«
    Der Greve nickte zustimmend. Einer der Schöffen meldete sich zu Wort. »Laßt uns einstweilen mit der Befragung fortfahren. Holt den Kerkerschreiber.«
    Ein Pult wurde aufgestellt, Papier, Tinte und Sandbüchse darauf geordnet. Rebecca nahm auf einem Schemel Platz. Die Wunden an Füßen und Händen schien sie mit Gleichmut zu ertragen, noch immer quoll Blut hervor. Die ihr beigebrachten Verletzungen waren scheußlich anzusehen und verliehen ihr – gepaart mit dem Gleichmut ihres Gebarens – eine fromme Würde.
    »Angeklagte«, begann ein Schöffe mit harter, amtlicher Stimme, »dir wird zur Last gelegt, in der Nacht auf Matthäi den Diakon von Sankt Alban in deinem Konvent bei der Seidenmachergaß mit einem Dolch angegriffen und ihn tödlich verwundet zu haben. Desgleichen geht die Anschuldigung vom städtischen Gewaltrichter, daß du deiner eigenen Schwester Katharina nach dem Leben getrachtet und ihren Tod befördert hast. Was hast du zu diesen Vorwürfen zu sagen?«
    Rebecca schenkte dem Mann ein Lächeln, das von demütiger Frömmigkeit durchglüht war. Ihre Haube war verrutscht, und die feine, weiße Stirn leuchtete im trüben Dunkel rein und hell. Ihr Lächeln vertiefte sich. Der Schreiber saß aufmerksam hinter seinem Pult, die Feder schwebte über dem Papier.
    Rebecca richtete sich auf und sprach: »Wegen dem, was mir angelastet wird, will ich gern und bereitwillig sterben, wenn unser Herr es so wünscht. Ihr mögt schon jetzt auf meine Kosten das Holz dazu kaufen. Ich selbst will es zum Scheiterhaufen tragen, denn so meine Unschuld nicht bewiesen werden kann, bin ich für die Welt verloren.«
    Der Greve schaute sie aufmerksam an. »Ist das alles, was du zu sagen hast?«
    »Alles. Sofern der Herr nicht wieder durch mich spricht.«
    Galisius schenkte ihr einen verärgerten Blick. »Du häufst weitere Frevel auf dein Haupt mit diesen Worten. Wie kannst du es dir anmaßen, so auf den Beistand des Allerhöchsten zu vertrauen? Ein elendes Weib, befleckt mit der Erbsünde! Warum sollte Gott durch dich sprechen?«
    Rebecca betrachtete ihn mit Milde. »Gott allein kennt die Wahrheit. Gott ist die Wahrheit und das Licht, mehr weiß ich dazu nicht zu sagen. Ich spüre nur, daß er es wohl mit mir meint, denn seit ich hier im Kerker sitze, empfinde ich nichts als süßesten Frieden. Der Teufel hat keine Macht mehr über mich. Ich danke Euch, Galisius.«
    Die Feder des Schreibers kratzte über das Papier, kurz zögerte er bei den Worten über Gott, die Wahrheit und das Licht. Zweifel regten sich in ihm, ob er hiermit die verworfensten Ketzereien oder einen Teil der himmlischen Offenbarung für die Nachwelt festhielt. Verstohlen betrachtete er den Greven, seinen Herrn. Der schien betroffen, berührt – von Zweifeln oder von plötzlicher Erkenntnis? Er tunkte die Feder ins Tintenfaß und beendete den letzten Satz, griff nach dem Sandfäßchen.
    Ein Dompriester erschien mit dem Weihwasser, und man unterbrach das Verhör. Galisius sprach ein kurzes Gebet und den Segen über das Wasser. Dann nahm er den ihm dargereichten Wedel, tunkte ihn ein und schritt feierlich auf Rebecca zu, die bereitwillig die Hände ausstreckte. Mit angehaltenem Atem verfolgten die Schöffen, der Greve, der Dompriester und die Kerkerknechte den heiligen Akt. Das Wasser spritzte auf und ging in einem feinen Sprühregen auf die blutenden Handflächen nieder. Alles starrte auf die Wunden. Würden sie brennen, sich schwarz verfärben, würden schweflige Dämpfe daraus hervorsteigen? Nichts von alledem geschah – und doch ein Wunder: Die Wunden an Rebeccas Händen hörten auf zu bluten.
    »Allmächtiger«, stieß der Greve hervor, und dem Schreiber entglitt die Feder,

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