Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
beiden Pferde durch ein Tor in die Stallungen. Lazarus und Don Seraph wurden durch hohe, gepflasterte Korridore in den großen Sitzungssaal geführt. Unruhe und Anspannung beherrschten auch hier die Mienen der Anwesenden, darunter Wilhelm von Oranien, Egmont, einige andere Ritter vom Goldenen Vlies, ausländische Gesandte, Mitglieder des geheimen Rates. Der Nebel vor den Fenstern ließ den Prunksaal düster scheinen, die Holztäfelungen und schweren Gobelins schluckten das Licht der wenigen Fackeln, die man entzündet hatte.
Margarethe von Parma saß auf dem Thronsessel unter dem Baldachin Burgunds, genau da, wo einst der große Kaiser Karl Apfel, Zepter und Krone niedergelegt und seinem Sohn Philipp feierlich übergeben hatte – einst, als die Tore zum Mittelalter noch nicht zugefallen und eine Einheit aller Christenmenschen unter Kaiser und Papst noch vage möglich schien.
Die kleine, rundliche Regentin zeigte die Blässe und den melancholischen Ernst einer freudlosen Witwe. Ihre verkniffenen Lippen hätten einer guten Hausfrau besser angestanden als der Regentin eines ganzen Staates. Drei Hofdamen standen bei der Fürstin und glichen mit ihren hochmütigen Mienen jenen Mangel an selbstbewußter Herrschaftsfülle aus, der Margarethe kennzeichnete.
Lazarus hielt sich im Hintergrund, während Don Seraph, von einem Pagen geleitet, vor der Regentin auf die Knie fiel und demütig das Haupt senkte. Sie gab ihm mit müder Handbewegung ein Zeichen, sich zu erheben. Don Seraph tat es flink und mit dem Selbstbewußtsein des Kriegers, der wußte, daß seine Fähigkeiten dem Erhalt der Herrschaft dienten. Stumm reichte er der Fürstin ein Schreiben, von dem Lazarus wußte, daß es der Bestallungsbrief des Herzogs von Alba war. Die Regentin las – abgewandt vom Rest der Versammlung – das Dokument. Ein Blick Wilhelms von Oranien traf Lazarus. Darin lag eine Frage, und Lazarus wußte, wie die Frage lautete. Mit kurzem Blinzeln beantwortete er den Blick. Der mächtige Provinzstatthalter wandte sich ab, als habe er nur zufällig in Richtung des bartlosen Leutnants geschaut, und parlierte in höfischem Plauderton mit einem englischen Gesandten.
Die Regentin winkte Don Seraph zu sich heran und flüsterte etwas in sein Ohr. Don Seraphs Gesicht wechselte die Farbe. Fast flammendrot hob es sich vom hellen Antlitz der Fürstin ab, und Lazarus wußte, daß er wütend war.
Ihm blieb nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn jetzt verkündeten zwei Wachsoldaten den Aufmarsch der Bittsteller vor dem Palast. Margarethe von Parma zitterte bei dieser Nachricht, während der Herzog Berlaymont, der neben ihr stand, beruhigend auf sie einsprach. »Habt keine Angst, Madame, das sind doch nur Geusen, elende Bettler«, übersetzte Lazarus für Don Seraph, der mit finsterem Gesicht neben ihn getreten war.
»Sie hat aber Angst«, zürnte der Feldhauptmann, »verbietet mir das heimliche Anwerben von Truppen. Ich soll ihr den Sold übergeben. Sie sagt, wir sollen warten, bis sie mit dem Staatsrat eine Entscheidung über die Petition getroffen hat.«
»Warten?« fragte Lazarus scharf.
»Ja, mein Freund. Mit Köln wird es wohl nichts, bis diese zimperliche Dame endlich einen Rüffel von ihrem Halbbruder Wilhelm erhält und hart durchgreift. Scheint, sie neigt zur Milde. Ich hasse Weibsbilder auf Thronen.«
»Ich muß nach Köln«, beharrte Lazarus.
»Noch stehst du in spanischem Sold, vergiß das nicht!« warnte der Feldhauptmann schlecht gelaunt und schlug ungeduldig seine Handschuhe gegen die Schenkel.
2
J uliana traf den Freiherrn am späten Nachmittag im Garten des Hauses. Ein Abglanz ihres triumphierenden Lächelns lag auf ihrem blassen Gesicht, als sie van Ypern bei der Laube stehen sah. Er hatte die Verabredung nicht vergessen. Ein tiefer Ausschnitt, ein perlendes Lachen, ein immer wieder nachgeschenktes Weinglas hatten das Werk getan.
Wie lächerlich einfach dieser Tölpel zu bestricken war. Hochmütige Verachtung stieg wieder in ihr hoch. Sich an diesen derben Flamen zu verschenken war eine Schande. Sie verharrte kurz beim Brunnen, sah eine braune Kröte auf dem Rand sitzen und erschrak. Kröten bedeuteten Kindersegen. Unfruchtbare Frauen pflegten die eklen Dinger zu küssen, um ihren Schoß lebendig zu machen, Jungfrauen legten sich bei Krötenbrunnen schlafen, um eine baldige Heirat herbeizuführen.
Juliana schüttelte sich in ihrem Ekel. Und doch, es half nichts, der Freiherr war die Kröte, die sie zu küssen hatte. Möge
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