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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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schon gar nicht deren Töchter. Hinaus, hinaus, hallte es höhnisch in ihrem Kopf wider. Der summte mächtig, und ihr Mut sank wieder. Das war nicht ihre Welt, aber sie brauchte Hilfe. Tringin hingegen wurde merklich fröhlicher, grüßte und scherzte, übersah Mißgunst und Boshaftigkeit in den Blicken einiger Gassenbewohner.
    Bei einem Saitenmacher blieb sie kurz stehen und hielt ein Schwätzchen, während der Handwerker Schafsdärme schabte und in einem Bottich mit Pottaschenlauge entfettete. »Ein Auftrag, Goswin?«
    »O ja, und ein großer dazu. Der Lautenmacher vom Katzenbauch will hundert Strang feinste Darmsaiten. Das nenne ich Glück, daß die feinen Herrschaften die Lauten neuerdings so lieben. Spanische Moden haben auch ihre Vorteile. Sie verschaffen mir mein Brot, während sie andernorts den Leuten den Kopf kosten.«
    »Deine Saiten sind die besten, die man sich wünschen kann.«
    »Sag es nicht zu laut, die Nachbarn neiden einem wie mir ohnehin schon sein Glück.«
    »Ach, laß sie doch. Wirst sehen, eines Tages läßt du diese freudlose Gasse hinter dir, logierst beim Alter Markt und arbeitest für die Harfenmacher des Kurfürsten.«
    »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel kommt. Mir reicht, was ich habe, solange ich in Frieden leben kann.«
    Tringin lachte unbekümmert. Columba zupfte das Mädchen schüchtern am Ärmel. Der stechende Geruch der Pottasche verursachte ihr erneut Schwindelgefühle. »Mein Gott, Columba, ganz grün siehst du aus. Schnell, wir gehen zu unserem Haus, dann hole ich den Bader. Er muß dich sofort behandeln. Gott mit dir, Goswin, und gutes Gelingen.«
    »Gott mit dir, Tringin«, er senkte die Stimme zu einem Flüstern und blickte sich verstohlen um, »und zwar der richtige.« Laut fuhr er fort: »Sag deinem Vater, ich brauche von ihm noch zwölf Lot Asche bis zum Abend, er soll auch seinen Anteil an meinem Glück haben.«
    Im Schatten der vorragenden Häuser stapften die Mädchen bis zu einem dunkel geschwärzten, geduckt dastehenden Fachwerkhaus, dessen zweiteilige Tür trotz der Kälte offenstand. Beißender Rauch schlug ihnen entgegen. Columba hustete. Sie traten in einen niedrigen, düsteren Raum, in dessen Mitte ein Feuer loderte. Ein Eisenkessel summte. Es roch nach verbranntem Tiergebein.
    »Mein Vater ist Knochensammler und brennt Asche davon für den Saitenmacher, und das Beinschwarz, das er herstellt, ist bei den Malern der Schildergasse hochgerühmt«, erklärte Tringin. »Aber das ist nicht alles. Er ist auch ein wunderbarer Knochenschnitzer, du solltest die zierlichen Würfel sehen, die er macht, mit wunderhübschen Bildern darauf.« Sie zog die widerstrebende Columba weiter in die schwarze Hütte.
    »Vater!« rief Tringin, und ein Schatten löste sich aus dem Dunkel hinter dem Kessel.
    »Was ist?« brummte der Mann mißmutig.
    »Ich habe eine Freundin bei mir, die sich verletzt hat. Ich laufe rasch und hole den Bader.«
    Der Mann näherte sich schlurfend, und Columba erschrak sichtlich. Sein Gesicht war schwarz vom Ruß, und doch erkannte sie, daß darunter keine glatte Haut lag, sondern ein Netz aus Narben, die sich knotig erhoben, eine Gebirgslandschaft, die den Mann entstellte. Das linke Ohr fehlte ihm ganz, seine Nase war eine unförmige Masse. »Das, liebe Columba, ist mein Vater Luthger«, stellte Tringin mit lauter, etwas zu lauter Stimme vor.
    »Sag ruhig, wie ich wirklich genannt werde«, knarzte der Mann, »gebrannter Kopp. Deine Freundin schaut mich ja schon an wie den Leibhaftigen.«
    »Ich wollte nicht ...«, begann Columba eingeschüchtert, doch ihre Stimme erstarb.
    Der Mann riß ein brennendes Scheit aus der Feuerstelle und hielt es dicht an sein Gesicht. »Hier, schau nur genau hin, so sieht einer aus, dem man seinen Glauben nicht läßt, obwohl er nichts hat auf dieser Welt als seinen aufrechten Glauben.«
    »Vater«, unterbrach Tringin ihn warnend.
    »Was ist, soll ich vor einem dummen Mädchen feige werden? Ich? Ich habe der römischen Tyrannei Schach geboten, den leeren Riten und den trügerischen Sakramenten abgeschworen. Das brennen sie mir mit tausend Feuern nicht aus. Jeder soll sehen, was sie im Namen Gottes tun, diese elenden Papisten.« Seine Stimme nahm den etwas zu entschiedenen Ton eines Mannes an, der um jeden Preis überzeugen will und häufig sich selbst überlisten.
    Columba wich erschrocken zurück. Voll Verachtung warf der gebrannte Kopf das Scheit in das Feuer zurück. Funken stoben auf.

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