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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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hinauszerrten. Wild um sich schlagend und kreischend wehrte das Weib sich dagegen.
    »Seht ihr nicht ihre Schuld, seht ihr nicht die Würmer, die sich in ihren Leib bohren?« Doch was die Magd – besorgt – und der Knecht – lüstern – sahen, war die nackte Juliana und ihre vor Schreck geweiteten Augen über totenfahler Haut. Kein Wunder, die Stiefmutter jagte den meisten Bewohnern des Hauses eine Gänsehaut über den Rücken, wenn man nur ihren Namen erwähnte. Kurze Zeit später erschien noch einmal die Magd an der Tür, klopfte artig und trat auf Julianas Geheiß ein.
    »Verzeiht die Unruhe, ich wollte ihr die Suppe zum Mittag bringen. Sie entwischte, kaum daß ich die Tür geöffnet hatte.«
    Juliana, von Melina in ein großes Tuch gehüllt, schaute die Wächterin der Stiefmutter verächtlich an. Ihre Furcht war heißem Zorn gewichen. »Dummes Weib, deine Unachtsamkeit wird noch einen in diesem Haus das Leben kosten. Wo ist der Vater? Er soll einen Exorzisten rufen, nein, besser die Wärter vom Blödenhaus, es wird Zeit, daß sie weggeschafft wird.«
    »Das wäre ihr Tod«, warf die Magd schüchtern ein, »bedenkt, was für ein elendes Loch das Blödenspital ist, nicht viel besser als ein Gefängnis.«
    »Der Tod wäre ihre Erlösung«, sagte Juliana kalt.
    »Aber«, warf die Magd erschrocken ein, »sie ist eine geborene Scarpenstein, eine Tochter aus vornehmstem Geschlecht.«
    »Sie ist keine Scarpenstein mehr, nur eine elende, besessene Kreatur.« Mit wachsendem Mut fuhr Juliana fort: »Hast du nicht gehört, wie sie mich – eine van Geldern – beschimpfte? Wo ist der Vater? Man soll ihn holen, er muß dem unwürdigen Gebaren dieses Weibsbilds ein Ende setzen.«
    »Ich habe nach der Muhme Rebecca, ihrer Schwester, geschickt.«
    Juliana schüttelte unwirsch den Kopf. »Das ist eine ebensolche Närrin wie meine Stiefmutter Katharina selbst.«
    »Die ehrwürdige Rebecca ist ein fromme Frau, manche sagen, sie sei eine Heilige.«
    »Törichtes Geschwätz, sie ist eine elende Begine, die sich in Gottesvisionen gefällt, um die Leute zu narren. Eine Heilige, pah, das gefiele Rebecca gut. Sie wäre nicht die erste Begine, die man als Betrügerin entlarvt. Warum sollte eine reiche Kauffrau ihr ganzes Vermögen an einen Konvent frömmelnder Weiber verschwenden? Wohl nur, um sich großzutun.« Juliana war in ihrem Element: Sie streute Verdächtigungen gegen andere aus.
    Die Magd schlug die Augen nieder. Es war nicht ratsam, der Tochter, noch dazu der Lieblingstochter des Hauses, zu widersprechen, also nahm sie Zuflucht zur Lüge. »Euer Vater selbst gab Anweisung, daß man in einem Falle wie diesem nach Rebecca rufen solle. Sie ist geschickt in der Krankenpflege.«
    »Verschwinde«, zischte Juliana und drehte sich zu Melina um. Die schwarze Magd streifte das Tuch von Julianas Schultern und reichte ihr einen flammendroten Samtmantel. Einen Moment dachte die Magd an der Tür, daß Rot die Farbe des Teufels ist, ehe sie lief, um Rebecca zu holen.
    7
    C olumba schob den Gedanken an Juliana beiseite und warf einen Blick auf Tringin, die eben einem Fuhrknecht beherzt ihr Evangelium der Nächstenliebe predigte: »Du Hundequast, du Saukerl, was schindest du deine arme Mähre wie toll? Siehst du nicht, wie erschöpft das Tier ist? Der Teufel wird dich holen, du unbarmherziger Schlagetot.«
    »Stinkende Funz«, belferte der Angegriffene zurück und hieb weiter auf den Rücken des Pferdes ein. Columba zog Tringin weiter, obwohl sie den Mut der Gefährtin bewunderte. So sehr bewunderte, daß sie ihre Furcht vor der Alten Mauer lächerlich fand.
    Sie gingen am Haus des Ratsherrn Weinsberg vorbei, scheuchten schnatternde Gänse und Enten vor sich her, freuten sich an der frischen Luft, die über den kahlen Gärten des Weißfrauenklosters lag, und bogen endlich in die Alte Mauer ein, ein enges, dunkles Gäßchen voller Bretterbuden, Viehställen, abgebrannten Ruinen, die der Rat nicht schleifen ließ, da er die Kosten dafür scheute. Horn- und Knochenreste und anderer tierischer Auswurf, Blut, Gräten, Fischköpfe, ausgesogene Lohe und Kalkschlamm häuften sich vor den Hütten der Knochensammler, Abdecker, Riemenschneider und Leimsieder, die hier zum gegenseitigen Nutzen ihrem unappetitlichen Handwerk nachgingen. Columba erschien es, als sei sie nun endgültig in die Hölle hinabgestiegen.
    Mißtrauische Blicke streiften sie, mißtrauische Blicke warf sie zurück. Orte wie diese suchte keiner der reichen Bürger freiwillig auf,

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