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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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tückisches Grinsen ein, ihr falsches Engelsgesicht. Trotz stieg in ihr hoch. Was waren schon ihre harmlosen Abenteuer gegen Julianas seltsame Geheimnisse.
    6
    D er letzte Glockenschlag von St. Alban schwebte über dem Viertel. Juliana ließ sich in die dampfende Zinkwanne sinken. Die blonden Flechten ihres Haares sogen sich mit Wasser voll, lösten sich und umflossen ihren weichen Leib wie dunkle Schlangen. »Den Schaber«, befahl sie knapp, ihre dunkle Stimme hallte von den bleigedeckten Wänden und dem Boden des Badraumes wider.
    Die Magd Melina reichte ihr das silberne, stumpfe Gerät, und Juliana fuhr sich damit über Arme und Beine, um sich von Schmutz und toter Haut zu befreien. Melina schäumte mit den Händen Seife auf und massierte damit die Schultern ihrer Herrin. Juliana schloß wohlig die Augen. Endlich schob sie die Hände der Magd beiseite und verlangte nach dem Spiegel. Genußvoll betrachtete sie sich im Spiegel. »Bin ich schön?« fragte sie und schaute die schwarze Frau aus halbgeöffneten Augen an.
    Melina nickte langsam und antwortete mechanisch, als wiederhole sie einen einstudierten Vers: »Ihr seid schön und rein wie die Milch der Jungfrau.«
    Juliana blickte sie zufrieden an; sie bemerkte nicht den kalten Hauch der Eifersucht, der Melinas Augen verdunkelte. Hätte sie ihn entdeckt, so hätte er sie befriedigt.
    »Heute nacht wird der Diakon wieder zu uns predigen. Immer wieder muß ich an seine wundervollen Worte von den Rehzwillingen denken. O Melina, wasche mich gründlich, ich will rein wie der Erste Engel sein, wenn er vom Sakrament der Liebe spricht.« Sie seufzte erneut und ließ sich unter Wasser gleiten, während Melina Jasminöl in die Wanne träufelte.
    »Glaubt Ihr, daß Ihr es seid, die er dereinst zur heiligen Hochzeit bittet?« fragte Melina mit sanfter Stimme.
    »Wen sonst sollte er sich zum Ersten Engel wünschen? Hast du nicht seine Blicke bei der letzten Versammlung bemerkt? Sie galten mir und wohl kaum dieser törichten Elisabeth, die sich Wunders was einbildet auf ihren Vater, den Ratsherrn.«
    »Wohl kaum«, kam es verhalten von ihrer Magd, die ein Seufzen unterdrücken mußte.
    Das Bild des jungen, schönen Diakons erschien vor Juliana, die melancholisch geschwungenen Brauen, die bleichen Wangen, die dunkel glühenden Augen, wenn er das Evangelium auf seine Weise deutete. Sein weicher Mund, so ersehnte sie es sich, sollte sie die Spiele und Tändeleien der Liebe lehren, seine schlanken Hände einmal ihren versiegelten Brunnen ertasten, voll heiliger Ehrfurcht. Sie wollte die erste in seiner geheimen Schar sein.
    Eine Schar von verirrten Schwärmern, die sich in unregelmäßigen Abständen nächtens in der Krypta von St. Alban traf. Für Juliana war der Diakon ein Mittler Gottes, seine mögliche Anbetung lockender als die plumpen Artigkeiten ihrer Verehrer. Sein erleuchtetes Antlitz schien ihr anziehender als die Porträts der feisten Kaufmannssöhne mit Nelken, die als Brautwerbebilder an ihren Vater gesandt wurden.
    Juliana und der Diakon teilten ein Geheimnis, das größer war als jede herkömmliche Liebe und bald, ihr Mund entspannte sich in einem genießenden Lächeln, vielleicht schon heute nacht, würden sie sich im Fleische erkennen, das Hohe Paar bilden, wie der Diakon es in seinen Predigten über die Schönheiten der fleischlichen Liebe nannte.
    Ihr Körper erzitterte im süßen Schweben der Lust, als ein Schrei sie jäh auffahren ließ. Wasser schwappte über den Rand der Wanne. Der Schrei verebbte, schwoll wieder an. Hastige Schritte wurden auf dem Gang laut, der Schrei näherte sich der Tür zum Bad. »Melina rasch, ist die Tür verriegelt?« fragte Juliana in atemlosem Entsetzen.
    Die Magd glitt zur Tür. Zu spät. Eine Gestalt drang ein, ein schweres vierschrötiges Weib mit häßlich verzerrtem Gesicht. Beherzt warf Melina sich gegen die Tür, um das Weib hinauszudrängen.
    »Auch du hast Schuld am Tod meines Kindes«, schrillte die Stimme, »du Pfaffenhure, babylonische Sau, Götzendienerin, verdorbene Teufelssklavin, dein Fleisch ist faul von deinen tausend Sünden.«
    Der Rest der Flüche ging unter in einem gräßlichen Gurgeln, Speichel troff der Rasenden vom Mundwinkel herab. Unwillkürlich hatte Juliana sich aus dem Bad erhoben, leuchtend weiß hob sich ihr Körper vom Dunkel des Bleis ab. Wasser rann zwischen ihren Brüsten herab. Die tolle Frau sah es und verfiel in erneute Raserei, bis endlich eine starke Magd und ein Knecht sie umschlangen und

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