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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Briefe mit einem Ketzer wechseln! Schon seine eigene Nachricht an seinen Freund und Handelspartner war für ihn gefährlich gewesen. Der hätte ihn leicht verraten können, und es kann gut sein, daß er das am Ende auch getan hat. Ich verfluche ihn, diesen elenden van Geldern ...«
    Der Weinbecher entglitt Columbas Händen und kollerte mit dumpfem Geräusch über den Lehmboden der Hütte. »Van Geldern?« fragte sie atemlos.
    Der gebrannte Kopf blickte auf. Seine stumpfen Augen verengten sich zu bösen Schlitzen. »Du kennst Arndt van Geldern?«
    Tringins fröhliche Stimme ersparte Columba eine Antwort. »Hier sind wir. Ich mußte bis zur Weyerstraße laufen, um den Bader zu holen. Er wird gleich kommen, hab ihn von der Wanne eines Kunden weggezerrt, dem sitzen jetzt noch die Schröpfköpfe auf ...«
    Weiter kam sie nicht, wildes Geschrei, der Schlag von Pferdehufen, heiser gerufene Kommandos und das Klirren von Waffen unterbrachen sie. Schon erhob sich am anderen Ende der Gasse das Wimmern von Weibern. Soldatenschreie übertönten es bald. Die Befehle waren deutlich zu verstehen.
    »Fangt das ganze Pack, diese Ketzerjauche, schlagt sie, treibt sie aus den Häusern, keiner soll entkommen!« Waffenstahl krachte an Holztüren, Und dann: »Wo ist das Haus von Luthger, dem gebrannten Kopf?«
    Ein Satz wie ein Grabstein. Tringin schrie leise auf, Columba erhob sich schwankend von ihrem Schemel. Nein, nicht noch einmal, nicht wieder. Es war ein Alptraum »Endlich greift ihr durch. Wir haben diese stinkenden Gotteslästerer lange genug geduldet«, jaulte es auf der Gasse, »stehlen unsere Arbeit und unseren Lohn. Da, der Saitenmacher ist einer von ihnen!«
    Columba tat einen Schritt nach vorn. Es war ein Schritt ins Leere. Ihr wurde schwarz vor Augen. Niemand fing sie diesmal auf.
    8
    S ie bat um das Geschenk der Tränen, das donum lacrimarum. Flehend zitierte sie den heiligen Kirchenvater Petrus Damianus: »O Tränen, geistliche Genüsse über Honig und Honigseim und süßer als jeder Nektar.« Vergebens, die Süßigkeit Gottes teilte sich ihr nicht mit. Vorbei die Zeiten, als sie von der Fülle ihrer Empfindungen wie hinweggeschwemmt wurde. Hinüber in eine andere Welt, wo sie ganz bei Gott war und so durchdrungen von seiner Liebe, so daß sie völlig frei, einfach und rein geworden und sich wie im unschuldigen Zustand des Paradieses befand. Diese leuchtenden Visionen hatten sie einst den Entschluß fassen lassen, der Welt zu entsagen, ihre eleganten Kleider gegen die grobe, graue Tracht zu tauschen und nur noch nach der unio mystica, der zärtlichsten, heiligsten Verbindung mit dem Allmächtigen zu streben.
    Wie Franziskus hatte sie sich zur Närrin um Christi willen gemacht. Nicht einen Tag hatte sie den Abschied vom Lärm und Gezänk der Welt bereut. Der Lohn war einzig. Doch nun, seit einigen Tagen – Nächten besser –, hatte sich der strahlende Weg in einen Höllenpfad verwandelt, und keine noch so innige Andacht half. War es Satan, der sie in Versuchung führte? War es eine Prüfung des Herrn? Sie kannte die Legenden der großen Mystikerinnen und wußte, daß die meisten wenigstens einmal in ihrem Leben mit den Dämonen rangen und der Leibhaftige ihnen als Schöpfer aller Dinge entgegentrat.
    Seufzend erhob sich Rebecca vom Mittagsgebet, schlug ein Kreuz vor der geschnitzten Madonnenfigur, die zärtlich lächelte, und strich ihre grobe graue Beginentracht glatt. Ihr immer noch schönes, schmales Gesicht mit den weit auseinanderstehenden grauen Augen entspannte sich für einen Moment. Mit einem Seufzen blickte sie sich in ihrer Kammer um. Alles war hell und frisch. Die gefegten Holzdielen, die wenigen Möbel – ein Bett, ein Stuhl, ein Stehpult – erhöhten den Eindruck aufgeräumter Leere. Nichts war da, das die innere Einkehr störte. Nichts bis auf den Stickrahmen in der Ecke. Rebecca runzelte die Stirn. Ein Leintuch war darübergehängt, ihr Blick verfing sich in seinen Falten. Sie wollte widerstehen und unterlag der Versuchung. Mit einem Ruck zog sie das Tuch vom Rahmen. Farben sprühten ihr entgegen, Seidenfäden schimmerten blutrot, schillerten in glänzendem Schwarz, goldene Tupfer lockten das Auge, alles fügte sich zusammen zu einem halbfertigen Bild von bestechender Klarheit und schrecklicher Eindringlichkeit. Die Welt – eine Hölle. Ihre Welt.
    Rebecca tastete mit den Augen die rechte Ecke ab, die sie in der letzten Nacht gearbeitet hatte. Mit feinen Stichen hatte sie die Knoten geschlungen, und

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