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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Columba glaubte sich nun wirklich in der Hölle. Dazu der Schmerz, der Schwindel, sie taumelte.
    »Da siehst du Vater, was du wieder angerichtet hast«, schimpfte Tringin und lief nach einem Schemel. Der Vater krümmte sich unter ihrer tadelnden Stimme, und seine Miene wurde plötzlich weich.
    »Es tut mir leid«, murmelte er verwirrt, »es tut mir leid, so leid, Tringin.«
    Hörte Columba richtig? War dieser kleinlaute Mensch derselbe wie der, der sie eben so sehr erschreckt hatte?
    »Hab keine Angst«, flüsterte Tringin ihr zu und reichte ihr eine kleine Sturzbütte Wein, »trink das. Ich bin gleich wieder da. Vater wird dir nichts tun, er ist ein herzensguter Mensch, nur ein wenig leidenschaftlich und aufbrausend.«
    Zweifelnd hob Columba den Blick, doch Tringin war bereits durch die Tür. Sie nippte an dem Wein, ein saurer Hund, wie ihn die armen Leute tranken. Sie versuchte so unsichtbar wie möglich zu sein und atmete flach, um nicht von dem erstickenden Rauch einzuatmen, der in dichten Schwaden zur Tür hinauszog.
    Aus der Tiefe des Raumes drang fast schüchtern die Stimme Luthgers zu ihr. »Ich wollte dich nicht erschrecken, Mädchen. Ich hasse nur diese starrenden Blicke der Menschen. Es ist jedesmal, als würde ich wieder durchs Feuer gehen.«
    Columba schluckte tapfer. »Wie, wie ist das geschehen? Wer hat Euch das angetan?«
    Der Alte schnaubte, und Columba befürchtete einen neuen Zornesausbruch. »Wollten uns ausräuchern, verfluchte katholische Ketzerjäger. Vermuteten ein Konventikel von Wiedertäufern im Weinkeller meines Herrn. Kaufmann in Brügge, guter Mann, wußte von nichts, wollte es verhindern, aber sie haben Fackeln in den Keller geworfen. Fünf sind rausgelaufen, drei davon wurden gefangen. Ich hielt aus.« Er lachte bitter. »Ich hielt aus, bis der Herr das Feuer löschen und mich herauszerren konnte. Ich war mehr tot als lebendig.«
    Er schwieg, die Scheite knisterten leise. Flämmchen leckten an dem Kesselboden. »Seid Ihr«, begann Columba schüchtern, »seid Ihr denn ein Wiedertäufer?«
    »Damals war ich noch keiner, wenn du es wissen willst, hörte nur der Predigt zu, war ein blöder Faßbindergeselle, sonst nichts. Aber wenn einer durchs Feuer gegangen ist für den Glauben, dann macht ihn das hart wie Stahl. Zwei Wochen später ließ ich mich nach den Regeln unseres Glaubens wieder taufen. Denn eines ist wohl wahr, Kinder sind nicht fähig, das Sakrament der Taufe zu begreifen. Sie wissen nichts von Gott. Ich aber bin für ihn durchs Feuer gegangen, und er hat mich gerettet.«
    Columba wollte das nicht hören, nicht verstrickt sein in diese ganze Glaubensraserei. »Wie konntet Ihr weiterleben – nach allem. Wer hat Euch geholfen?«
    »Der Kaufmann. Halb hing er auch schon dem neuen Glauben an, hielt es aber wohl eher mit den Calvinisten. Elendes Pack, genauso verdorben wie die Katholischen, wenn du mich fragst. Lesen die Bibel nicht richtig, aber er war ein guter Herr.«
    Dieses widerwärtige Religionsgezänk! Columba hustete, um das Gespräch zu beenden. Luthger schien zu verstehen.
    »Bist keine von uns, he? Tringin ist wahllos bei ihren Freunden.« Er schwieg kurz, dann griff er seine Erzählung, die ihn mit bitterem Stolz zu erfüllen schien, wieder auf. »Nun ja, dieser Kaufmann war ein anständiger Mensch, egal welchen Glaubens. Er ließ mich von einem Apotheker behandeln, gab mir Geld und schickte mich hierher, zu einem Handelspartner. Ein Freund, der mir helfen würde, eine neue Stelle als Faßbinder zu finden. Ein Freund!« Luthger lachte grimmig. »Seine Antwort auf den Geleitbrief, den ich am Tor seines Hauses abgab, war die Drohung, mich dem Gewaltrichter und seinen Bütteln zu übergeben. Das Geld, das ich ihm mit dem Brief geschickt hatte, um mir den Bürgerbrief zu kaufen und einer Gaffel beizutreten, behielt er. Diese reichen Hanse, diese Gierhälse schlucken alles, was sie in die Finger bekommen.«
    Columba nahm einen weiteren Schluck Wein. »Aber warum habt Ihr nicht dem Kaufherrn in Brügge eine Nachricht darüber geschickt? Gewiß hätte er Euch noch einmal geholfen, seinen Freund gemahnt.«
    Luthger schüttelte den Kopf. »Ich konnte damals weder lesen noch schreiben. Und als ich es später von einem unserer Prediger gelernt hatte, war es wohl zu spät. Zwar schrieb ich einen Brief und gab ihn einem Metzger, der eine Herde zum Markt von Brügge trieb, aber ich erhielt keine Antwort. Nun ja, vielleicht hatte es mein ehemaliger Herr mit der Angst zu tun bekommen.

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