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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Feuchtigkeit. Kurz unter dem Haaransatz sickerte das Blut hervor. »So kann ich nicht nach Hause gehen«, meinte sie trocken, »das muß verschwinden, sonst bin ich verraten.«
    »Verraten?« fragte Tringin neugierig. »Was heißt das? Wo kommst du her? Ich meine, deine Kleider – bis auf den Umhang – sind vornehm genug, aber da du alleine hier herumstreifst, dachte ich ...«
    »Was dachtest du?«
    »Nun ja, es hätte mich nicht gewundert, wenn du einen roten Mantel getragen hättest.«
    Columba hielt empört die Luft an. Das also sah Tringin in ihr. Eine Hure, die den vom Rat vorgeschriebenen Schandmantel nicht trug, was freilich keine Hure in Köln tat. »Du fünfmal törichtes Weibsbild«, setzte sie wütend an, besann sich aber im gleichen Moment, schließlich hatte sie selber ähnliches über Tringin gedacht.
    »Schon gut«, beruhigte das blonde Mädchen sie, »ich habe gemerkt, daß du reinen Geistes bist. So unschuldig, wie du den Mathys anlachst, lacht nur ein blödes Kind. Von der Liebe zwischen Mann und Weib weißt du weniger, als in einen Fingerhut paßt. Komm mit, bei uns in der Nähe wohnt ein Bader, der kann deine Wunde behandeln. Er ist sehr geschickt, mit Alaunstein und Spinnweben stillt er jede Blutung, ganz ohne Schmerz.«
    Die Mädchen lösten die Schienen von den Schuhen, grüßten die anderen Läufer zum Abschied und kehrten bei der Schifferkirche St. Maria in Lyskirchen in die Stadt zurück. Die Glocke schlug hell die Mittagsstunde, alte Weiblein eilten zum Gebet, die Bettler vor dem Kirchentor öffneten die Hände und begannen ihr Tagwerk. »In Christi Namen erbarmt Euch unserer Gebrechen, im Himmel wird es Euch vergolten.« Sie schlugen ihre Lumpen zurück, zeigten brandige Schwären, wickelten die Tücher von Beinstümpfen herab und klapperten mit ihren Bechern.
    Columba kramte in ihrer Gürteltasche. »Willst du denen etwas geben?« fragte Tringin. »Laß mal, der da mit den faulenden Geschwüren am Bein, den kenn ich, ein übler Seffer, der sich mit einer Salbe einstreicht, die ihn verwandelt, als ob er krank sei. Wenn er ins Bad geht, fallen die Schwären ab, und er ist frisch wie der Tau am Morgen. Das ist rotwelsches Pack, kein ehrlicher Bettel. Ich hab es selbst gesehen, er ...«
    »Ach was«, unterbrach Columba die eifernde Tringin und zog sie fort durch die Witschgasse. »So dumm, wie du meinst, bin ich nicht. Na ja, jedenfalls fast. Ein elendes altes Weib hat mich vorhin um zwei Fettmännchen geprellt, um mir eine Begegnung mit dem Tod zu prophezeien.«
    Tringin prustete. »Das war aber mal ein schlechter Handel.«
    »Hier«, Columba zog ihre letzten fünf Fettmännchen hervor, »wird das noch für den Bader reichen?«
    Tringin hakte Columba unter und wich geschickt einem stinkenden Mistpfuhl aus. »Das wird er umsonst machen. Er liebt hübsche Dirnen wie dich, mußt nur ein wenig mit deinen hübschen Augen zwinkern.«
    »Tringin, ich bin keine, keine ...« Der Anstand verbot ihr, das Wort auszusprechen. Ihre Freundin lachte schelmisch. »Na dann«, sagte Columba knapp, »werde ich mir von meinem Geld Schlittschuhe kaufen bei deinem gebrannten Kopf.«
    »Schlittschuhe? Na, die bekommst du auf jeden Fall umsonst.«
    »Wo führst du mich hin? Ins Paradies für Habenichtse?«
    »So könnte man es nennen, wobei die meisten uns für Taugenichtse halten.«
    Lachend zogen sie weiter bis zum Waidmarkt, wo sich der Gestank vom Waidmus der Blaufärber mit dem der Misthaufen mischte, die die Schraffier hier zusammentrugen. Sie rafften die Röcke, um durch den Straßenkot zu waten.
    »Wie soll ich das nur der Mertgin erklären?« Columba seufzte mit Blick auf den zwei Handbreit hoch verschmutzten Saum ihres Rockes. Sie erreichten den Blaubach, den ein steinernes Brückchen überquerte. Von der Hochpforte quälten sich Fuhrwerke zum Bach herab, die Zugpferde stolperten auf dem hartgefrorenen Grund. Ringsum war Geschrei aus Kutschermäulern, Gotteslästerei, Fluchen und Peitschen. Columba, die merkwürdig fror und zitterte, sehnte sich zum ersten Mal an diesem Morgen in ihr geheiztes Schlafgemach zurück. Sogar ein Bad schien ihr verlockend, die würzige Wärme von Ambra und Zibetöl. Sie verharrte kurz. Wäre es nicht besser, nach rechts abzubiegen, sich Mertgins Schelte geduldig anzuhören und mit reuigem Gesicht um Nachsicht zu bitten? Der Ast, der Sensenmann, die Alte mit dem toten Auge, war das nicht Warnung genug gewesen? Mertgin hätte keinen Zweifel gehabt. Dann fiel ihr Julianas

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