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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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ihres Haares leuchtete im Kontrast zur blutig klaffenden Wunde. Der Saitenmacher schluchzte. Ein Soldat entriß den Händen des bewußtlosen Mädchens die Bibel und warf sie in den Schmutz. Gassenjungen stürzten sich darauf, zerfledderten das Buch, falteten Hüte und Schiffchen aus dem seidendünnen Papier. »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.«
    Columba wollte sich vom Spanier losreißen. Er packte sie so hart, daß es schmerzte.
    Sie schrie auf. Ein Kölner Hauptmann, der beim Karren stand, drehte sich um. Unwillig runzelte er die Stirn und kam mit schnellen Schritten auf sie zu.
    »Was willst du mit der Ketzerdirne, Spanier? Sie gehört dem Gewaltrichter.« Jetzt erkannte er den Glattrasierten. »He, du warst es doch, der im Haus von dem Ketzer da so kläglich versagte. Nicht einmal diesen mageren Knochensack Luthger hast du überwältigt. Nennst du das Soldatenkunst? Machst uns zum Gespött der Gasse. Der Tumult hätte leicht umschlagen können in blutige Pöbelei.« Sein abfälliger Blick glitt über die engen Beinkleider, den beschmutzten Parademantel und den Zierdegen des Spaniers.
    Der Glattrasierte lächelte fein, fast galant. Mit hartem kastilischem Akzent bemerkte er leise: »Wenn ich Euch«, er machte eine Pause, um die Höflichkeit der Anrede wirken zu lassen, »an die Anweisungen des Rates erinnern darf? Gemeinsame Sache mit den Spaniern.«
    Der Hauptmann knurrte unwillig, der Glattrasierte sprach hastig weiter. »Dieses Mädchen würde mir große Freude machen. Was bedeutet ein Ketzer mehr oder weniger für Euch? Wir Spanier wissen Gastgeschenke zu würdigen, und um ein Geschenk handelt es sich hierbei«, er deutete auf den Ketzerkarren, »Ihr versteht?«
    Columba wollte protestieren, der Spanier verschloß ihr den Mund mit der Hand, sie schmeckte das glatte Leder seiner Handschuhe.
    »Scher dich fort mit ihr.«
    Der Spanier neigte elegant sein Haupt. »Gracias.«
    Columba grub ihre Zähne in die Finger des Kerls, sein Griff lockerte sich, sie schrie wieder auf. Seine Hand erstickte den Schrei. »Halt endlich deinen Mund, du lästiges Mädchen«, knurrte er gar nicht galant und ohne jeden kastilischen Akzent.
    Columba stutzte. »Du bist überhaupt kein Spanier!« rief sie empört.
    »So wenig wie du eine Wiedertäuferin bist«, versetzte ihr Begleiter. Grob zog er das verblüffte Mädchen mit sich fort. Niemand beachtete die beiden weiter – niemand, bis auf ein schmächtiges Männchen, das heftig nach Atem ringend seine Beine ausschüttelte, die von der Anstrengung eines schnellen Laufs zitterten. Seine Anstrengungen sollten noch kein Ende haben. Sein vorsichtig abwägender Blick heftete sich an den Degen des Entführers, tastete sich zu seinen kräftigen Schultern hinauf.
    10
    G anz verstohlen schaute Anna, die Begine, sich in dem vornehmen Schlafgemach der Kaufmannsgattin um. In schweren Falten fielen Brokatvorhänge vor den Fenstern herab. Geschnitzte Schränke mit reichem Rollwerk schmückten die Wände. Überall brannten Kerzen, wiewohl es Tag war. Purpurfarben waren die Wände beschlagen, überall Heiligenbilder und Kreuze, die von Dutzenden von Spiegeln widergespiegelt wurden. Auf einem Tisch lag ein Rosenkranz aus Elfenbein, daneben ein in Gold gefaßter Bezoarstein gegen die Pest, vielfarbiges Geschmeide neben einem goldgerahmten Spiegel. Die Kaufmannsgattin besaß alles, was ein Weiberherz begehren konnte. Nur eines hatte sie für immer verloren: den Verstand.
    Voll kalter Abscheu blickte Anna zu den beiden Frauen hinüber. Katharina, die bleich und greinend in den weichen Kissen lag, und Rebecca, ihre Schwester, die daneben hockte und beruhigend auf sie einsprach.
    »Liebe Schwester, es ist alles gut.«
    »Ich will nicht sterben, hörst du, nicht sterben. Nicht in diesem Haus, ein Pfuhl der Sünde, die Hölle ist hier, Rebecca. Er nahm mir mein Kind, ich will ein zweites, hörst du? Mein Schoß ist noch fruchtbar. Nicht sterben«, jäh richtete Katharina sich auf. Fieber flackerte in ihren Augen, Speichel lief aus ihren Mundwinkeln. Der Wahnsinn hatte ihren Körper längst verwüstet und sich in ihr ehemals schönes Gesicht gefressen.
    »Was redest du«, sprach tröstend die Begine, »der Tod ist fern.«
    Katharina grinste häßlich. Ihre Augen rollten. »Ich will seinen Leib, seine Lust, sein Fleisch. Er will meinen Tod, er will mein Geld.« Die Worte brachen aus ihr heraus wie gärender Most aus einem Faß, dem der Spund geöffnet wird.
    »Es ist gut, beruhige dich.«
    Ein

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