Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
warf einen prüfenden Blick auf die Kranke im Bett. Ihr Gesicht hatte sich verwandelt, sie träumte einen einsamen Traum. Hinter geschlossenen Lidern jagten ihre Augäpfel hin und her, als suche sie nach lichten Bildern. Ein Lächeln suchte einen Platz in ihrem Gesicht und fand ihn nicht.
»Anna«, wandte sich Rebecca an ihre Konventsschwester, »hab eine Weile acht auf meine Schwester. Ich habe mit Mertgin im Haus zu tun.«
Sie erhob sich. Anna räusperte sich, einmal, zweimal. »Ich soll allein mit dieser ...?«
Rebecca runzelte die Stirn. »Scheust du dich?«
»Nein, natürlich nicht. Solange sie schläft.«
Mertgins Miene spiegelte Empörung wider. Diese widerspenstige, arbeitsscheue Begine war geeignet, alle bösen Zungen in Gang zu setzen, die von den bettelgrauen Frauen nur das Allerschlimmste behaupteten: Ihre Demut sei in Wahrheit nichts anderes als Trägheit, ihre selbstgewählte Klausur ohne strenge Kirchenaufsicht nichts als ein Vorwand für die Hingabe an Wohlleben und Faulenzerei. Wirklich, dieses Weib war widerwärtig.
»Komm«, unterbrach Rebecca ihre Gedanken und entriegelte die mehrfach gesicherte Tür. Aus der gedämpften Stille des Schlafgemachs traten sie in den Korridor. Vom Festsaal drang der Lärm der Zimmerleute zu ihnen herüber. Das Podest für die Musiker wurde aufgestellt. Mit schwerem Silberzeug beladen, klapperten Mägde und Knechte die Treppe herauf, scheppernd ging ein Teller zu Boden, tanzte klimpernd auf dem Steinboden. Die zornige Stimme des Hausherrn schalt den unaufmerksamen Diener.
»Der Herr van Geldern«, hauchte Mertgin entsetzt. »Was, wenn er mich nach Columba fragt?«
»Laß mich nur machen.« Forsch schritt Rebecca zur Treppe. Eben bog der Kaufmann um die Ecke. Sein Gesicht verriet unterdrückten Zorn und äußerste Anspannung. Ein gefallener Teller konnte kaum der Grund dafür sein. »Ich grüße dich, Schwager.« Hell und freundlich klang Rebeccas Stimme.
An der düsteren Miene des Kaufherrn prallte sie ab. Er erwiderte den Gruß nicht. »Was führt dich in mein Haus?« fragte er knapp und warf der hochgewachsenen Frau einen kalten Blick zu.
»Man rief mich wegen Katharina – ein Anfall. Es ist schon vorbei, doch es scheint mir besser ...« Weiter kam sie nicht.
»Vater, liebster Vater.« Oben auf der Treppe zum zweiten Stock stand Juliana. Das Blondhaar kunstvoll in ein Netz geflochten, den Leib in Wolken aus goldener Seide gehüllt, dazu die goldfarbene Haube, die einer Strahlenkrone glich, sah sie aus wie eine üppig geratene Himmelskönigin. Mertgin ärgerte sich. Nun würde Columba auf ihren goldenen Brokat verzichten müssen, gewiß hatte Juliana mit Absicht dieselbe Farbe gewählt, wohl wissend, daß sie eigentlich Columba am besten zu Gesicht stand. Columba, wo steckte sie nur! Erschrocken trat Mertgin in den Schatten zurück.
Juliana schwebte die Treppe herunter, nur mit den Fußspitzen berührte sie die Stufen. Arndt van Geldern sah es mit Wohlgefallen. Dieses Mädchen verstand es, Ehre einzulegen, sie war sein Stolz, sein Schmuckstein, eine vortreffliche Partie für einen Edelmann. Die Wonne seines Alters. Ach was, Alter. Geschmeidig streckte er die Hand aus und half der Tochter die letzte Stufe herab.
Sie küßte zart seine Hand. »Ihr seht müde aus, Vater«, begann Juliana schmeichelnd. »Mertgin rasch, einen Trunk. O Rebecca, du bist gekommen. Vielleicht weißt du ein Mittel gegen Vaters Schmerzen, dieses schlimme Gebrechen seines Alters. Du ...«
Der Schmuckstein verlor seinen Glanz. Arndt van Geldern löste unwirsch seine Hand aus der seiner Tochter. »Ich will nichts von Schmerzen hören. Ich habe zu tun.« Er wandte sich ab und eilte auf sein Empfangszimmer zu. Vor der Tür hielt er kurz inne, drehte sich um. »Mertgin, zu mir.« Die alte Dienerin zuckte zusammen. »Ich sehe, du weißt, worum es sich handelt.«
Schwer wie die Glieder einer Kette fielen seine Worte. Mertgin zitterte so stark, daß Rebecca sie stützen mußte. Die Magd war unfähig, einen Schritt zu tun.
»Albernes Weibsbild!« donnerte der Kaufmann vom anderen Ende des Flures, und die herumsausenden Diener beeilten sich, den sicheren Festsaal zu erreichen. »Wie konntest du Columba aus dem Haus lassen?«
Die Blicke der drei Frauen ruhten auf ihm. Rebeccas mit leisem Widerwillen, Julianas voll von Triumph, Mertgins in wilder Angst. Ein greller, hoher Schrei erlöste sie.
»Das ist Katharina«, entfuhr es der Begine. Sie stürzte zurück zur Schlafkammer der Schwester
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