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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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erkennst du mich nicht? Ich bin es.«
    Columba stutzte. Der Alte ließ nach in seiner Raserei, sein Gesicht zeigte Erstaunen und – ja – einen wirren Anflug von Freude.
    Vor der Tür entstand neue Unruhe. Die Verzögerung des Spektakels mißfiel der Menge, und ihr Zorn drohte sich auf die Zauderer zu richten. »Ist das Gerechtigkeit?« schrie einer. »Sollen wir weiter das Gift der Gotteslästerer atmen? Greift endlich ein!«
    Die Stadtsoldaten warfen sich mit aller Wucht gegen die Tür, der Tisch schwankte, fiel, die Soldaten stürmten und stolperten hinein, die Menge von der Gasse drängte nach. Der gebrannte Kopf schrie wie ein Besessener, löste sich von dem Spanier und stürzte auf die Eindringlinge zu.
    Columba richtete sich auf, sah sich suchend nach Tringin um. Ein Soldat packte das Mädchen eben grob um die Taille, hob es in die Luft. Tringin biß und spuckte, trat aus. Der Söldner fluchte. Ein vorwitziger Gassenlümmel, dessen gehetzter Ausdruck den Mann verriet, auf den man gewöhnlich die Hunde hetzt, griff sich eine Hellebarde. Ungelenk wog er sie in seiner Hand, dann zog er dem Mädchen den Schaft kurz und hart über den Kopf. Tringin glitt leblos zu Boden. Ihre Hände hielten noch immer das verräterische Buch umklammert. Der feige Totschläger lachte rasselnd und entwischte nach draußen. Columba schrie auf. Roh packten die Soldaten nun Luthger, streiften dabei sein Hemd von den knochigen Schultern, auch sie waren vernarbt, verbrannt.
    »Der ist es, jawohl«, eiferten die Gaffer, die ihre Gesichter durch die Tür steckten. »Haut drauf!« Es waren häßliche Fratzen, die Münder nur Löcher.
    Columba wich zurück, kämpfte gegen Übelkeit und Erbrechen, sauer schoß es aus ihrem Magen nach oben, grobe Hände streckten sich jetzt nach ihr aus. »Nehmt die auch mit!«
    »Widerwärtige Götzenanbeterin!«
    Columbas Herzschlag setzte aus. Das Gesicht des Vaters tauchte kurz vor ihr auf, ein kaltes, starres Gesicht. Eine schmutzige Hand riß an Columbas rechtem Arm.
    »Perdón.« Zum drittenmal diese lächerliche Höflichkeitsformel, diesmal direkt neben Columbas linkem Ohr. Der Spanier. Rechts zerrte ein anderer. Mit einem einzigen Fausthieb schlug der Glattrasierte ihn zu Boden. Dann riß er Columba so nah an sich heran, daß sie den Terpentinduft seiner Stiefel atmete. »Laß mich«, fauchte sie, »lieber soll mich der Pöbel zerschlagen, als daß ich dir Spaß bereite.« Er achtete nicht darauf, zog sie hinter den Rücken der Soldaten, die das Gassenvolk in der verrauchten Küche zu bändigen versuchten, zur Tür. Als sie Tringin passierten, beugte Columba sich zu ihr hinab.
    Der Spanier riß sie hart zurück. »Laß das, du Närrin, ich kann nur eine von euch unsinnigen Katzen retten«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, die er sogleich wieder zu einem Lächeln entblößte, so als wäre das seine gefährlichste Waffe.
    »Ich muß ihr helfen«, parierte Columba angriffslustig.
    »Zu spät«, sagte ihr Begleiter, der mit gezogenem Degen zwischen die Gaffer trat. Die spuckten aus, entrüsteten sich, wagten aber nicht nach der vermeintlichen Ketzerin zu greifen.
    Der Spanier führte sie auf den Ketzerkarren zu. »Das nennst du Rettung?« empörte sich Columba. Als sie die Mitte der Gasse erreichten, schloß sich der Ring der Schaulustigen wieder vor der Tür von Luthgers Hütte. Der Spanier machte kehrt, schlug die andere Richtung ein. Das Volk war abgelenkt, denn jetzt wurde der gebrannte Kopf hinausgeführt, seine leblose Tochter hinausgetragen. Krakeel und Beifall. Endlich Tote. Die Gefangenen auf dem Ketzerkarren blickten müde.
    Columba drehte den Kopf und erkannte den Saitenmacher, seine Hände waren mit dem Produkt seiner Kunst verschnürt. Er blickte nach oben, als suche er ein Stück Himmel über dem Dunkel der Gasse. Er räusperte sich und hob an, heiser zu singen. Ein Psalm. De profundis.
    »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Herr, höre meine Stimme! Wenn du, Herr, Sünden rechnen willst, wer wird bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte. Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache bis zur andern. Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm. Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.« Andere auf dem Karren stimmten erst zaghaft, dann mit Inbrunst ein. Es hagelte Knochen und Kot. Unbewegt sangen die Gefesselten weiter.
    »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.«
    Tringins Körper wurde auf den Wagen gehoben. Das Blond

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