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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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seid kein Mann des Aberglaubens«, kam es spöttisch von Lazarus.
    »Nein, und dennoch sage ich: Hüte dich vor van Geldern, und verrate ihm vorerst nicht deinen richtigen Namen.«
    »Den habe ich auf meinen Reisen längst abgelegt, ich riß ihn von mir wie ein brennendes Kleid, da ich allen Parteien verhaßt bin.«
    »Ich rate dir zur Vorsicht. Lerne van Geldern erst kennen, urteile und entscheide dann, was du ihm anvertrauen kannst.«
    Lazarus öffnete den Mund zu einer Frage.
    »Geh«, beschied ihn der Gelehrte mit plötzlicher Heftigkeit, »geh, ich habe zu tun. Es ist fast Mitternacht, und meine Zeit auf Erden ist knapp bemessen.«
    6
    D as Fest war zu Ende. Jeder Gast erhielt im Hof eine Fackel, um sicher den Weg nach Hause zu finden. Ein Nachtwächter rief die erste Stunde des neuen Tages aus. Die Pferde der Spanier schnaubten wohlversorgt im Stall, ihre Reiter ruhten – bis auf Lazarus – wohlversorgt in den Gästekammern des Hauses. In manchen Fenstern flackerte noch das Licht von Kerzen. Gähnend schlurften die Küchenmägde zu ihren Lagern hinter der Küche. Der Festsaal wurde verschlossen und verriegelt, tote Sperlinge schwammen in Weinpfützen neben zerbrochenen Krügen und abgenagten Knochen. Morgen würde man alles hinauskehren.
    Arndt van Geldern saß im bestickten Samtmantel in seinem Büro und wartete auf einen Becher heißen Gewürzwein. Vor ihm auf dem Schreibtisch türmten sich wieder die Akten. Seufzend sah er Wechsel durch, sortierte sie immer und immer wieder nach ihrem Wert. Der Haufen der uneinlösbaren und wertlosen Scheine war entschieden höher als der der geldwerten. Wirklich beängstigend war jedoch der Stapel seiner offenen Rechnungen und eigenen Schuldverschreibungen. Nach diesem Fest würde er noch weiter anwachsen. Nun, Philipps Silber und etwaige weitere Türkenanleihen sollten ihn fürs erste retten. Es würde ihm Zeit genug bleiben, um im Frühjahr einen vertrauenswürdigen Mitarbeiter nach London zu entsenden, um dort die Außenstände einzutreiben, bevor die unberechenbare Königin Elisabeth etwa den hansischen Stalhof schloß und unter windigem Vorwand die Vermögen deutscher Kaufleute beschlagnahmte. Der jungfräulichen Monarchin waren solche Winkelzüge zuzutrauen.
    Aber wen konnte er mit der Londonreise betrauen? Er hielt es wie der ferne Monarch Philipp: Er gab sich den Anschein, als liebe er die Menschen, und mißtraute allen. Wenn er nur jünger wäre, wenn er nur selbst reisen könnte! Die Blasensteine meldeten sich mit einem heißen Stechen. Seine Gesundheit glich einem ewigen Sterben. Wehmütig dachte er an seine goldenen Jahre, als ihm alles gelang, an die vielen eingegangenen Wagnisse, die glücklich ausgegangen waren, und an die Schliche, die unentdeckt blieben und sich ausgezahlt hatten. Und nun? Ohne Verschulden war er in Not geraten, weil die Welt nun einmal nicht der Mathematik gehorchte.
    Es klopfte, der Dürre erschien mit dem Wein, seine Aufdringlichkeit war anmaßend.
    »Was willst du noch?«
    »Ich bringe den Wein, den Ihr verlangt habt.«
    »Nicht von dir.«
    »Ich bringe auch Nachricht.« Wie einen Köder warf er den Satz hin. Der Schein der Kerzen verwandelte sein hageres Gesicht in eine flackernde Fratze. Van Geldern bemühte sich, jedes Anzeichen von Neugier auf seinem Gesicht zu ersticken.
    »Eure Frau ist schwer erkrankt.« Der Kaufherr sah auf. »Aber auf dem Wege der Besserung.« Van Geldern senkte den Blick wieder.
    »Der Knabe ist bereit. Es kostete nur einen Gulden.«
    »Sprich nicht davon, es ist der Rede nicht wert. Geh.«
    Der Dürre deutete seine Verneigung nur noch an, der Kaufherr war doch längst seinesgleichen, ein Geheimniskrämer wie er. Das Gedächtnis des Dürren war gut, er pflegte Geheimnisse darin aufzubewahren, bis sie verdorrt und nutzlös waren. Die van Gelderns waren frisch wie die Blumen des Sommers, und er hegte sie fleißig. Befriedigt schloß er die Tür.
    Katharina schwerkrank, dachte der Kaufmann kalt. Nicht krank genug. Das Vermögen, das ihr gehörte, wäre ihm willkommen. Wieviel besaß sie noch? Die Zinshäuser im Severinsviertel, soviel wußte er, aber sie warfen nur mäßiges Einkommen ab. Anteile an den Schiffsmühlen im Rhein? Rebecca hatte welche, das war gewiß. Vermaledeites Kölner Erbrecht, das den Frauen aus Patriziergeschlecht Verfügungsrecht über ererbtes Vermögen und Wirtschaftsfreiheit einräumte. Selbst in ihren liebesschwachen Stunden hatte Katharina darauf nicht verzichtet, und sie um Geld zu

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