Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Michael Servet, nicht wahr? Ja, das war ein seltsamer, verlorener Schwärmer.«
»Einer von vielen, nur übermütiger. Er schrieb aus sicherer Entfernung, aus Frankreich an Calvin, wollte ihn belehren, daß auch der Teufel ein Teil der Substanz des Göttlichen sei, und behauptete, daß Calvin irre.«
»Du verurteilst das? Er tat nur seine Meinung in einem religiösen Disput kund. Für diese Freiheit treten wir Humanisten ein.«
»Nun, ich verurteile keine Meinungen, sie sind mir alle gleich, ich verurteile nur Fanatiker. Servet hätte wissen müssen, daß ein Calvin an eines so fest glaubte wie an Gott: nämlich die eigene Unfehlbarkeit. Warum also gerade ihn überzeugen wollen? Calvin war ein Mann, an dem man nur zerbrechen konnte oder der einen zerbrach. Servet war ein ebenso verblendeter Eiferer wie Calvin selbst, auch er glaubte an seine Unfehlbarkeit und kam nach Genf, um darüber zu streiten.«
»Streit ist die größte Lust der Fanatiker«, sagte Cassander seufzend. »Gleichwohl, de morituis nil nisi bene. Servet starb für seine Wahrheit auf dem Scheiterhaufen.«
»Aus überheblicher Dummheit. Er kam aus Frankreich nach Genf, obwohl er wußte, daß Calvin ihn bereits an die katholische Inquisition verraten hatte, um sich selbst den Mord an einem eifernden Widersacher zu ersparen.«
»Das hat Calvin getan?« fragte der Gelehrte entsetzt.
»O ja, er scheute auch davor nicht zurück, dieser kaltherzige Tyrann. Er ließ Briefe schreiben, die Servet enttarnten. Als Servet jedoch der französischen Inquisition entkam und – selbstbegeisterter Tor, der er wiederum war – in Genf nächtigte, nahm Calvin ihn heimtückisch gefangen, wozu er kein Recht hatte. Er erzwang die Verurteilung des fremden Staatsbürgers. Aus reiner Eitelkeit ließ er den Dummkopf grauenhaft foltern und brennen. Und meinen Vater kurz nach ihm. Was für ein unnützer Tod, was für ein Opfer für einen Verblendeten, wie Servet es war.«
»Du irrst, Lazarus, du irrst. Dein Vater starb nicht für Servet. Er starb, weil er wie ich daran glaubte, daß es ein grausamer Mord ist, einen Menschen seines Glaubens wegen zu verbrennen, und keine Verteidigung einer Lehre. Nur das sagte er.«
Grimmig nickte Lazarus und starrte ins Feuer. »Ja, nur das sagte er. Im geheimen zunächst, dann in Briefen. Doch man hat ihn verraten. Wißt Ihr, wer ihn verriet?«
Cassanders Blick wurde für einen kurzen Moment unstet. Lazarus registrierte es genau. »Ihr wißt es, Cassander. Mein Vater wechselte Briefe mit Euch, wie mit anderen früheren Freunden, die Calvin verhaßt waren. Einer von ihnen muß es getan haben. Ihr wißt, wer es war.«
Cassander blickte dem jungen Mann fest in die Augen. »Das alles ist nun zwölf Jahre her. Ich kann es dir nicht sagen, mein Sohn. Vielleicht waren es auch meine eigenen Briefe, die deinen Vater verrieten. Man sagt, Calvins Spitzel saßen überall, auch unter den Boten und Kaufleuten, die Nachrichten überbrachten. Gleichviel, dein Vater hat zu seiner Überzeugung gestanden, sie nie geleugnet. Und wie er wiederhole ich: Um einer Lehre willen tötet man keinen Menschen. Nirgends in der Bibel steht, daß man Ketzer verfolgen soll.«
Lazarus nickte wieder. »Das ist eine der wenigen Thesen, die ich anerkenne, auch wenn der Tod meines Vaters mich kalt und wütend macht. Hätte er nur seine Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe für einen klügeren, edleren Menschen als Servet aufgespart.«
»Ihm zählte jeder Mensch gleich viel, wie dir jede Meinung«, sagte Cassander, »eben darin lag seine Größe. Dein Vater starb für eine großartige Idee, nämlich die, daß man in die Seelen der Menschen keine Fenster brechen soll.«
Lazarus sah, daß der alte Mann tief bewegt war und zugleich heiter lächelte. Er sah, daß vor ihm ein großer Mann saß, und doch reizten ihn seine Worte zum Widerspruch. All diese leeren Menschheitsträume.
»Ich hasse es, wenn Menschen für Ideen sterben, gleichviel für welche. Und darum bin ich auch hier. Ihr, Cassander, könntet einige Narren vor dem Feuer retten, die man heute verhaftete. Ich weiß, daß Ihr für die Wiedertäufer, die man im letzten Jahr fing, Euer Bestes getan habt. Dem Prediger unserer Delegation seid Ihr ein spitzer Pfahl im jesuitischen Fleische.«
Cassander krauste die Stirn. »Es war nicht genug, einer wurde dennoch gerichtet, und auf einen weiteren wartet nämliches Schicksal. Umsonst bat ich beim Erzbischof um Milde.«
»Immerhin, man hört auf Euch, sogar der verstorbene
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