Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
zwangen. Wenn er fertig war, würde sie ihn verbrennen und mit ihm all die schrecklichen Bilder ihrer Seele, von denen niemand etwas wußte. Wie nahe das Heilige dem Teuflischen war! Das Höchste dem Niedrigsten.
Vielleicht war es Gott, der ihr in den letzten Nächten diese grauenvollen Visionen eingegeben hatte, um sie für ihren Hochmut zu strafen. Den Hochmut der Frommen, die glaubt, von Gott besonders bevorzugt zu sein. Ja, das hatte sie lange geglaubt, so lange, wie ihre Visionen süß und friedvoll gewesen waren.
Gleichviel. Man mußte den Teufel an die Wand malen, um ihn zu bannen, hieß es. Sie würde ihn bannen, dann würden ihre Gebete wieder klar und aufrichtig sein.
Columba hob im Traum ihre Hände, wie um den Alp abzuwehren, der ihr auf der Brust saß. Armes Ding, dachte Rebecca, wie sehr hatte die Ketzerhatz sie mitgenommen. Vom Fieberfrost geschüttelt, hatte sie alles gebeichtet, während die Tante ihr das Mieder löste, das Hemd abstreifte und ihr den kalten Schweiß vom Leib rieb. Sie war so jung, wo es um die Welt ging. Natürlich hatte sie schon Menschen brennen sehen, das Schwert herabsausen auf bloße Nacken, aber es waren gewöhnliche Diebe und Mörder, die sie sterben sah. Columba begriff nicht, daß Tringin, ein Mädchen ihres Alters, ein fröhliches, unbekümmertes Geschöpf ohne Falschheit im Herzen, den Tod gefunden hatte. Wirr hatte sie gesprochen, sich selbst die Schuld am Sterben Tringins gegeben, nur weil eine dumme, einäugige Hexe ihre Kunst an ihr probiert hatte. »Wird man sie alle verbrennen?« hatte die Fiebernde gefragt. »Auf das Rad flechten? Was wird mit ihnen geschehen, Tante?«
Rebecca hatte sie beruhigt, so gut es ging. »Nicht in Köln, liebes Mädchen, nicht in Köln. Man wird sie auf den Turm gebracht haben, eine Weile verhören und die meisten freilassen, wenn sie ihrem Irrtum abschwören.«
»Die meisten?« hatte Columba zitternd geflüstert.
»Denke nicht daran.«
»Wäre es nicht sinnvoller, ein Märtyrer der Barmherzigkeit als einer des Glaubens zu werden und sich an die Seite eines Sterbenden auf den Scheiterhaufen zu stellen? Wäre das nicht wahrhaft christlich gehandelt? Würde das dem Wahn nicht ein rasches Ende bereiten?«
Sie war so jung. Rebecca hatte den Kopf geschüttelt. »Der Wahn, wie du es nennst, geht tiefer, zwischen den Menschen ist seit Urzeiten ein Haß, den kein Glaube heilt, kein Akt der Barmherzigkeit.«
»Das hat er auch gesagt«, hatte das Mädchen seufzend gemeint und war endlich in einen unruhigen Schlaf gefallen. Wer er war, wußte Rebecca nicht. Nur gut, daß Anna bei diesem Gespräch nicht zugegen gewesen war, mit Freude hätte sie davon dem Beichtvater oder noch besser einem Beauftragten der Inquisition berichtet. Wie gut, daß Anna schlief.
Rebecca irrte, Anna schlief nicht.
Ein Klopfen an der Tür von Katharinas Schlafgemach hatte sie hochgeschreckt. Durch die dünnen Wände ihres kleinen Verschlages, in dem sonst die Zofe der Hausherrin schlief, hörte sie ein geflüstertes Gespräch. Eine Männerstimme, die Mertgin aufforderte, dem spanischen Gesandten einen Schlaftrunk zu bereiten. »Ich kann die Herrin nicht allein lassen«, wehrte Mertgin ab, »schick eine der Küchenmägde.«
»Der Herr van Geldern hat diesen Dienst ausdrücklich von dir verlangt.«
Mertgin schwieg und betrachtete unsicher die Kranke.
»Du weißt, wie sehr er dich schätzt, der Auftrag ist eine Ehre«, kam es schmeichelnd von dem Mann. Die Geräusche verrieten, daß Mertgin sich erhob.
»Noch eins«, mahnte der Mann, »es wäre besser, du würdest ein ordentliches Gewand anlegen, schließlich handelt es sich um einen vornehmen Mann, du kannst ihm nicht im Hemd entgegentreten.«
»Aber meine Herrin ...«
»Ich werde so lange hier warten.«
Die Tür der Schlafkammer öffnete und schloß sich. Annas Ohren erforschten angestrengt das Dunkel. Noch einmal öffnete und schloß sich die Tür, der Mann war also ein Lügner. Warum hatte man Mertgin fortgelockt?
Anna atmete leise und lauschte, endlich fühlte sie sich sicher genug, den Verschlag zu verlassen. Das Licht der Kerzen fing sich in den vielen Spiegeln, warf einen blutigen Schimmer auf die Bilder der Heiligen.
Anna schlich durch den Raum. Gierig betrachtete sie das Geschmeide auf dem Tisch beim Vorhang, griff nach einem perlenbestickten Band und legte es um ihren Hals. Im Spiegel überprüfte sie die Wirkung und lachte ihr wölfisches Grinsen. Jede konnte eine Herrin sein. Mit der Rechten nahm
Weitere Kostenlose Bücher