Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
sie das Tuch, mit dem sie ihren geschorenen Kopf des Nachts bedeckte, ab. Die Haare wuchsen nach. Sie hatte schöne Haare gehabt, bevor der Henkersknecht sie ihr geschoren hatte, weil sie ihr Lager gegen Geld mit Pilgern und anderen Männern geteilt hatte. Rebecca wiederholte den Haarschnitt regelmäßig. Verfluchte Konventsregeln. Ihre Haare waren so begehrt gewesen wie ihr Leib, die Beginentracht hatte den Reiz nur noch erhöht. Daß sie nun zum einfachen Rock auch noch das einfache Leben führen mußte, war ein Schicksal, das sie der Magistra übelnahm.
Ein Geräusch ließ sie hochfahren. Jemand schob den Türriegel hoch. Panisch blickte Anna sich um, entdeckte den Vorhang, schlüpfte dahinter.
Das Licht einer Kerze schimmerte durch den Stoff, ein Mantelsaum schleppte über den Boden des Zimmers.
»Katharina?« Stille. »Katharina?« Ein Seufzen war die Antwort. Jemand zog den Bettvorhang zurück, die Messingringe schabten über die Eisenstange.
»Du?« Katharinas Stimme klang geschwächt. »Du bist gekommen, zu mir?«
Van Geldern nickte langsam und betrachtete das verwüstete Gesicht seiner Frau. Bleich war es, das grau durchsträhnte Haar fiel wirr in ihr Gesicht, sie schwitzte, ihr Mund war geöffnet, die meisten Zähne waren fast schwarz. Van Geldern sah, daß der Schmerz sie noch häßlicher machte. Katharina hatte ihr Talent für die Liebe verloren, jede Geste war falsch, jedes Wort ein Fehler.
Mit fahrigen Händen schob sie ihr Hemd hoch. »Ein Kind«, stöhnte sie, »ich will ein Kind. Ich bin nicht alt, hörst du?«
Ein Nachhall ihres einst so herrischen Tons schwang in der Stimme mit. Wie erbärmlich sie war.
»Steh auf«, befahl van Geldern.
»Ich kann nicht, ich kann nicht.«
»Wie krank bist du, Weib?«
»Nicht zu krank für ein Kind.«
»Steh auf!« Anna zog ihren Vorhang ein Stück zur Seite. Die Kranke hatte zitternd die Decke zur Seite geschlagen, schob ihre Beine über die Kante des Bettes. »Warum quälst du mich?«
»Weil ich will, daß du lebst«, sagte der Kaufmann kalt.
»Du lügst.«
»Ich lüge nicht.«
»Liebst du mich?«
»Genug, du weißt es.« Widerwillen lag auf seinem Gesicht.
Katharina fiel beinahe aus dem Bett, sank auf ihre Knie. »Ein Kind, Arndt, ein Kind, es ist mein einziger Wunsch.«
»Erhebe dich. Es ist deiner unwürdig, zu knien.«
Katharina kroch näher an ihn heran, schlang ihre Arme um seine Knie, drückte ihr Gesicht in seinen Nachtmantel. »Ich gebe dir alles für ein Kind. Hörst du? Alles.« Sie blickte mit einem Ausdruck von List zu ihm auf. Er würde sie lieben, wenn sie ihm einen Sohn schenkte, dessen war sie gewiß. Ein Sohn.
Der Kaufherr wollte sie abschütteln, aber sie krallte sich fester in den Stoff. »Ich weiß, daß du Geld brauchst, geliebter Gatte. Viel Geld. Ich habe es. Ich gebe es dir, gleich morgen.«
Van Geldern erstarrte und blickte voll Abscheu auf Katharina. Nie war sie ihm so häßlich erschienen, so töricht, so bloßgestellt. Er streckte seine Hand vor, sie haschte danach wie eine Ertrinkende, riß sie an ihren Mund, bedeckte sie mit Küssen. Der Kaufmann ließ es geschehen, Katharina zog sich hoch, setzte sich wieder auf das Bett, zog den Gatten nach, bis er über ihr war. »Ich gebe dir alles, hörst du?« Sie kroch unter die Decke, umklammerte immer noch seine Hand. Er spürte ihre Wärme. »Gott will es so«, flüsterte Katharina lüstern.
»Du lästerst.«
Katharina spürte seinen Leib, schob den Mantel auseinander, tastete nach dem Saum seines Hemdes. Sie schloß die Augen und atmete seine Wärme, seinen Körper. »Du liebst mich«, sagte sie triumphierend.
»Schweig.« Mit metallischem Klirren fiel etwas zu Boden.
Anna warf einen letzten Blick zum Bett. Ihre Augen hefteten sich auf das Papiermesser, das im Schein der Kerzen glühend schimmerte.
8
E rsticktes Schreien. Ein Becher fiel zu Boden und kollerte über die Holzdielen. Die Nacktheit des Mannes war häßlich, die gebogenen Schultern, die magere Brust. Noch häßlicher gegen den schlanken, zarten Knabenleib, der weiß daneben schimmerte. Mertgin löste sich aus ihrer Erstarrung. Don Cristobal war mit einem Satz aus dem Bett gesprungen, suchte mit den Augen den Degen. Sie wartete nicht, bis er ihn fand, wirbelte herum durch die Tür, die sie polternd schloß, und floh über den Korridor. Hinter ihr war nichts außer einem Schatten – der Schatten des Dürren, der leise Zustimmung nickte. Hastige Geräusche wurden laut. Der Grande verriegelte seine
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