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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Du warst voller Haß gegen sie. Ich weiß es genau.«
    »Von Melina, der Hure, nehme ich an«, zischte Juliana. »Sie ist zerfressen von Eifersucht gegen mich.«
    »Unter den Engeln gibt es keine Eifersucht und keine Huren, merke dir das. Sowenig wie du eine Mörderin bist, ist unsere Schwester Melina ein Schandweib.«
    »Soll eine elende Zofe deine Erwählte, dein Erster Engel werden?« giftete Juliana empört.
    »Genug. Du bist zu tief in die Niederungen der Sünde verstrickt, um die ewige, die fraglose Liebe zu empfangen. Du mißachtest das Mysterium der Liebe genauso wie den Tod.«
    »Wärest du bereit zu töten, was dir am liebsten ist?«
    »Gewiß, denn es gibt keinen Tod, wo die Liebe wohnt, nur ewige Vereinigung.«
    »Dann töte Melina, und ich werde dir in allem, hörst du, in allem, und für immer zu Willen sein. Töte, was du liebst.«
    »Du hast nichts begriffen, nie wird dir wahre Erleuchtung zuteil werden«, stieß der Diakon mühsam hervor, dann schwieg er. Er dachte an die Frau, die er liebte, an graue Augen, einen sanften Blick, an Rebecca.
    Einen kurzen Moment lauschte Juliana noch in das Schweigen hinein, dann erhob sie sich mit triumphierendem Blick und stieß die Tür des Beichtstuhls auf. Wie eine Königin trat sie in den Kapellenraum.
    Melina kniete in der Bank, Tränen strömten über ihr dunkles Gesicht, sie betete um ihr Leben – »Herr, erbarme dich meiner« – und lächelte inbrünstig der weißen Juliana zu, deren goldenes Haar im Schein der Flammen einen Kranz von Strahlen warf.
    6
    M eine gute Gerste!« zeterte die Köchin und Kornmeisterin des Konvents aufgebracht. »Was fällt dir ein!«
    Columba zuckte mit den Schultern und warf den lebhaft gurrenden Tauben im Innenhof des Schwesternhauses eine weitere Handvoll hin. Gierig und flügelschlagend pickten sie die Körner vom frostigen Grund.
    »Eine wie du kann gut freigebig sein«, maulte die Dicke und zog das gutmütige Gesicht in Falten, die darin gar keinen Platz fanden. Sie nahm noch immer übel, daß Meisterin Rebecca nicht an die Krammetsvögel, die Ochsenreste und die Kalbsfüße aus der Küche van Gelderns gedacht hatte. »Besser, du machst dich nützlich, da hinten steht der Reisigbesen, kehr mir den Weg zur Latrine.«
    Columba stemmte die Arme in die Seiten. »Du weißt, ich bin krank«, protestierte sie. »Gesund genug, um Männer zu empfangen und Tauben zu füttern. Die Magistra sagte, ich solle ein Auge auf dich haben, damit du nicht Trübsal bläst. Unsinn, du bist so munter, daß du deine Kraft sinnvoll verwenden kannst. Faulheit ist Sünde.«
    »Ich hatte ein schweres Fieber«, trotzte das Mädchen.
    »Und junges Blut, deine Backen sind rot wie zwei Äpfelchen.«
    »Was erlaubst du dir für einen Ton!«
    »Der, der mir paßt.«
    Columba begann der Streit Freude zu machen. »Niemand spricht so mit mir, und einen Besen hatte ich noch nie in der Hand.«
    »Schlimm genug. Ich kann noch viel deutlicher werden.«
    »Ach ja?«
    »Solche wie dich habe ich besonders gern. Zum Fressen gern.«
    Columba hob die Augenbrauen und funkelte die Köchin angriffslustig an. »Ich dachte, du zögst Gerste vor.«
    Um den Mund der Köchin zuckte es. »Der Besen«, sagte sie barsch und drehte sich schimpfend um. Zu spät. Columba hatte deutlich das Lächeln gesehen, das ihren Mund umspielte, sie hätte es gern ganz gesehen.
    Statt dessen steckte nun Anna den Kopf zur Tür heraus. »Was tust du da? Es wäre besser, du kämst ins Haus und würdest in Stille Andacht halten und beten. Dein lautes Wesen ziemt sich nicht, hast du keinen Respekt vor den Toten?«
    »Falsche Frömmlerin«, brummte die Kornmeisterin und gewann Columbas Herz damit ganz.
    Anna aber fuhr zeternd fort. »Hast du keine Scham, keinen Anstand, keine Frömmigkeit in dir? Was würde Rebecca sagen?«
    »Sie würde sagen, geht alle ins Haus und schließt die Tür, der Frost kriecht durch jede Ritze. Die Feuerung ist teuer genug.«
    Anna erschrak, als sie die Stimme der Magistra so plötzlich vernahm, die durch das gegenüberliegende Tor in den Hof getreten war.
    »Rebecca!« rief Columba und sprang mit offenen Armen auf die Tante zu. »Hast du etwas über das Messer erfahren?« fragte sie flüsternd.
    Die Begine lächelte und strich ihr übers Haar. »Es freut mich, dich so munter zu sehen.«
    Anna zog mit lautem Klappen die Tür ins Schloß.
    »Die«, zischte Columba, »hält meine Munterkeit für eine Todsünde.«
    Rebecca seufzte. »Kannst du das nicht verstehen?«
    Columba

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