Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
so heißt es, ist so geizig und stolz, daß er sogar die Locken verwahrt, die ihm der Barbier abschneidet. Vielleicht glaubt der Dummkopf, daß man sie dereinst als Reliquie verehrt. Sie sind toll, diese Spanier.« Mertgin stieß einen entsetzten Laut aus.
»Mein Herr!«
»O hab dich nicht, verstehst wohl keinen Spaß? Dabei sagt man, gerade in Köln sei der Frohsinn zu Haus.«
»In diesem Haus ruht eine Tote: meine Herrin.« Mertgin zügelte sich nur mühsam.
»Freilich, freilich. Ein Jammer, sag ich. Und doch, eben weil der Tod so grausam pünktlich ist und alles Leben zur Unzeit erstickt, halte ich es mit der Fröhlichkeit. Was ist dir, Weiblein? Uns alle trifft es einmal. Den vornehmen Junker ebenso wie dich, die dumme Magd. Ist das nicht eine herrliche Gerechtigkeit?« Er leerte den Becher in einem Zug und lachte dröhnend.
»Der Herr möge Euch alle Sünden vergeben«, murmelte Mertgin und knetete ihre Schürze.
»Es ist keine Sünde zu leben«, gab der Freiherr friedfertig zurück. »Und wenn meine Stunde kommt, werde ich willig und voll Demut die Augen schließen. Anders als manche ach so gläubigen Herrn. Kennst du die Geschichte von der Rettung des Don Carlos, König Philipps Sohn?«
Mertgin schüttelte den Kopf und suchte nach einer Ausrede, um sich zu entfernen.
Der Junker streckte die Hand nach ihr aus und zog sie am Schürzenzipfel zu sich heran. »Komm, Alte, das wird dir gefallen. Don Carlos, ein schwächlicher, fieberkranker, geiler Tölpel, stürzte auf der Jagd nach einer Hausmeisterstochter die Treppe herab. Man fürchtete, er würde es nicht überleben. Da ließ sein Vater einen Koch aus dem Kloster von San Diego holen ...«
Er machte eine Pause und Mertgin atmete auf. Über das Essen zu reden, konnte nicht lästerlich sein. »Ja?« fragte sie darum vorsichtig. »Und was tischte der dem Kranken auf?«
»Seine eigenen Knochen.« Kichernd schlug der Junker sich auf die Knie.
Mertgin erbleichte und fuhr zurück. »Ihr seid ein schrecklicher Schalknarr, Herr.«
»Iwo, es ist die Wahrheit. Der Koch war ein angeblich heiliges Skelett, hatte Engelsvisionen am Kochherd gehabt. Man legte seine Gebeine dem fiebernden Infanten ins Bett. Er schlief neben dem Gerippe und berichtete anderntags, er habe köstlich gespeist, und schon hatte Spanien einen neuen Heiligen. Ganz wie Philipp es liebt. Aus Flanderns Kirchen raubt er alle heiligen Knöchlein. Seine Reliquiensammlung, sagt man, wird einen ganzen Saal im künftigen Escorial füllen. Was hat er uns für diesen Bau nicht schon an Geldern abgepreßt, nur um ihn mit modernden Knochen zu füllen. Er baut sich ein Totenhaus.«
»Er muß ein tiefgläubiger Christ sein«, bemerkte Mertgin streng.
»Jaja, soll er ruhig alle Knochen haben. Bring mir mehr Wein, das Gespräch mit dir ist wahrlich trocken.«
Froh, dem feixenden Gotteslästerer zu entkommen, klapperte Mertgin auf ihren Holztrippen zur Tür. Dort traf sie auf van Geldern. Sie verneigte sich und sah mit Wohlwollen sein ernstes, ablehnendes Gesicht. Der Herr würde den Junker in seine Schranken weisen und ihn lehren, was sich ziemte im katholischen Köln. Lose Reden waren unter seinem Dach nicht erwünscht, auch wenn er selbst ein Flame war.
»Ihr seid wohlauf, Junker Fritjof, und wie ich hoffe, gut gestärkt.«
Der Freiherr sprang auf und neigte knapp das Haupt. »Euer Haus ist sehr gastfreundlich, ich danke.«
»Es ist mir eine Freude, Euch hierzuhaben. Nur, wer meiner Familie wirklich nahesteht, kann in einer Stunde wie dieser den Schmerz ermessen und helfen, ihn zu teilen.«
Verlegen wischte sich der Freiherr den Mund, versuchte die lebenspralle Fülle seines Leibes hinter dem Lehnstuhl zu verbergen. Dieser ernste alte Mann sah nicht aus, als ob er zu erheitern wäre.
Van Geldern ging über die schwarzweißen Fliesen zum Kamin herüber und wärmte seine Hände über dem knisternden Feuer.
»Ich hoffe, Ihr bleibt noch eine Weile mein Gast, um die Familie besser kennenzulernen. Meine Töchter Juliana und ...«
»Columba.« Der Freiherr nickte eifrig.
»Sie gefällt Euch?«
»Über die Maßen. Ein so lebendiges, frohes Geschöpf. Wenngleich sie gestern ein wenig erschöpft wirkte. War es mehr als eine Weiberlaune?«
Van Geldern richtete sich auf und kämpfte gegen seine Verachtung an. »Sie erlitt einen Sturz und fieberte, jetzt ist sie wieder wohl.«
»Ich bitte um Erlaubnis, ihr einen Krankenbesuch abzustatten. Vielleicht ein Spaziergang im Garten hinter dem Haus? Man sagt von
Weitere Kostenlose Bücher