Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
für ein Kind diese Columba doch war, aber das übermütige Kind war ihm lieber, als das ernste, verlorene, das ihm, als er durch die Tür trat, entgegengeblickt hatte.
»Sag mir, wie es ihr geht, leidet sie Schmerzen, spricht sie?« bestürmte Columba ihn nun.
»Sie fluchte sogar, als sie mich sah.«
Columba lachte hell auf. »Dann besteht keine Gefahr für ihr Leben. Ich muß sie sehen, führ mich hin.« Eifrig suchte sie den Raum nach ihrem Umhang ab, lief zu einer einfachen Truhe hinüber, riß den Deckel hoch, zog Bettwäsche heraus und warf sie auf der Suche nach einem Umhang achtlos auf den Boden.
»Du kannst keine Ketzer auf dem Turm besuchen.«
»Wer soll mir das verbieten? Du etwa?«
»Was würde man denken, wenn eine van Geldern Mitleid mit Wiedertäufern zeigt?«
Columba unterbrach ihre Suche und fuhr trotzig herum. »Bist du nicht der Kerl, der mir gestern die Predigt vom wahren Evangelium der Barmherzigkeit hielt? Alles nur Worte, was? Ich bin ein Mensch der Tat. Wenn du mich nicht begleitest, gehe ich allein.« Sie umklammerte mit den Fingern ein Bettuch, würgte es fast in ihrer wütenden Entschlossenheit. »Ich gehe, hörst du.«
»Und wirst deinen Vater treffen, ich sah ihn im Turm«, meinte Lazarus warnend.
»Was, was will er da?« fragte das Mädchen verblüfft.
Lazarus zuckte mit den Schultern. »Er sprach davon, daß euer Haus in Trauer liegt. Ich fürchtete ... Nun, wer starb?«
»Katharina, meine Stiefmutter«, antwortete Columba tonlos, dann leuchtete Entsetzen in ihren Augen auf. »So hatte die Wahrsagerin doch recht«, flüsterte sie, »zwar lebt Tringin, aber Katharina, ich ...«
Unwirsch schüttelte Lazarus den Kopf. »Fang nicht wieder damit an. Du sprichst wie eine abergläubische, alte Vettel.«
»Aber das Messer«, sagte Columba gedankenverloren.
Sie ließ das Leintuch fallen, es sank zu Boden, erst jetzt entdeckte Lazarus die Blutspuren darauf, sie waren verlaufen, aber er erkannte deutlich die Form eines Kreuzes. Columba sah es nicht.
»Woran starb die Frau Katharina?« fragte er drängend.
»Wer seid Ihr?« fragte eine Stimme von der Tür her. Lautlos war Rebecca eingetreten. Der Mann in der Uniform drehte sich um.
»Mich freut, daß du Besuch hast, Columba. Stell ihn mir vor«, setzte die Begine, bemüht um einen leichten Plauderton, fort, gleichzeitig huschte sie zu dem Tuch am Boden, hob es auf und rollte es zusammen.
»Er ist ein Begleiter der spanischen Delegation. Sein Name ist Lazarus«, sie schaute den jungen Mann herausfordernd an, »sagt er.«
»Lazarus Ossianus, ja. Ich wollte mich nach dem Befinden des Mädchens erkundigen. Gestern auf dem Fest schien es, daß sie fieberte und unwohl war«, erklärte der Bartlose rasch. Kein Wort von Ketzern, kein Wort von Tringin.
»Nun, wie Ihr seht, geht es ihr gut«, sagte Rebecca, »und ich muß Euch nun bitten zu gehen.«
»Ich begleite ihn die Treppe hinab«, rief Columba eifrig und war schon bei der Tür. Die grauen Augen der Begine blieben sanft, während sie das Leintuch in die Truhe fallen ließ.
Lazarus verneigte sich tief und folgte dem Mädchen.
Am Fuß der Treppe hielt sie an und wandte sich ihm zu. »Gib mir bald Nachricht, wie es Tringin geht«, bat sie.
Er nickte, froh, daß sie wieder zu ihrer Lebendigkeit zurückgefunden hatte. Mit besorgtem Blick beugte er sich zu ihr hinab, wollte etwas fragen.
Schroff wich Columba zurück. »Hab Dank für die Nachricht«, sagte sie.
In ihrem abweisend kalten Blick erkannte Lazarus den Vater wieder. Cassanders Worte klangen in seinem Ohr. »Ich rate dir, keine Leidenschaft an die van Gelderns zu verschwenden.« Unsinn, was er fühlte, brannte so lau, daß es durch Columbas Art ganz abgekühlt wurde. Ärgerliches, stolzes Kind. Grußlos ging er in den Hof und verschwand durch das Tor.
4
D ie Becher waren halb geleert. Van Geldern strich sich den Bart und ließ seinen Blick am Gewaltrichter vorbei über die knatternden Wimpel der Schiffe gleiten, die durch das Fenster zu sehen waren. Freundlich hatte man über das Ausmaß von Rohheit und Gewalt in Kölns Gassen geplaudert, gemeinsam über die Zügellosigkeit der Studenten geklagt, sich über die Festsetzung der Ketzer gefreut und die ganze Zeit ausführlich bedauert. Van Geldern wußte, daß er nun den ersten Schritt unternehmen mußte. Alles war letztlich eine Frage des Geldes, nur wie darauf kommen, ohne das Gefühl für Anstand seines Gegenübers zu verletzen? Kein Zweifel, der Mann nahm die Dukaten wie
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