Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
senkte den Blick. »Hältst auch du mich für herzlos, weil ich mich so über Tringins Rettung freue und nicht um Katharina trauern kann?« Sie schlug die Hand vor den Mund und erbleichte. »Verzeih, ich habe vergessen, daß Katharina ..., daß du, um deine Schwester ..., o verzeih. Ich bin so dumm, so schamlos. Es tat nur so gut, hier draußen zu sein, bei den Tauben, weg von dem schrecklichen Haus meines Vaters. Endlich Licht nach dieser Nacht, die nie zu enden schien.«
Rebecca nahm ihre Hand. »Es ist gut, Columba. Ich weiß, daß zwischen deiner Stiefmutter und dir keine Neigung bestand. Sie war euch Töchtern fremd und am Ende verwirrt. Schäme dich nicht für deine Freude an diesem Tag und Tringins Leben. Ich nahm dich mit hierher, damit du dem Kummer für eine Weile entkommst.« Sie gingen zum Haus.
»Für eine Weile?« kam es zaghaft von Columba. »Ich bitte dich, Tante, laß mich hierbleiben. Dem Vater wird es recht sein, ich bereite ihm nichts als Ärger, er haßt mich. Laß Juliana ihn trösten.«
»Columba, dies ist ein einfacher Konvent, wir haben nur harte Pritschen als Lager, die Kost ist grob, alles ist einfach, du bist es nicht gewöhnt.«
Columba lief nach dem Besen und schwenkte ihn eifrig. »Ich brauche den Luxus nicht, sieh her, ich werde mich auch nützlich machen. Bitte, laß mich hierbleiben.« Sie ließ den Besen sinken, und fuhr ernst fort: »Ich kann nicht zurück, versteh mich doch, das schreckliche Zimmer, die Wunde, das blutige Kreuz, der blutige Dolch in meinen Händen ...« Sie brach ab und starrte ins Leere.
Die Begine schaute sich um, der Hof war leer, ganz nah trat sie an das Mädchen heran. »Daran starb sie nicht, hörst du«, sagte sie leise.
»Nicht?« Erstaunt schaute Columba ihr in die Augen, das klare Grau beruhigte sie.
»Nein.« Rebecca schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wer den Frevel mit dem Messer beging. Eine furchtbare, man möchte meinen, eine teuflische Tat, aber die Wunden gingen nicht tief. Katharina starb im Schlaf.«
»Im Schlaf? Bist du sicher?«
Die Begine nickte. Daß der erlösende Todesschlaf der Schwester vielleicht ein künstlicher gewesen war, behielt sie für sich.
»Aber selbst dann«, flüsterte Columba und fror plötzlich, »bleibt die Frage, was ich mit dem Messer tat.«
»Du wirst es aufgehoben haben, dein Fieber war auf dem Höhepunkt.«
»Es ist wahr, ich erinnere mich an nichts. Ich wünschte, jemand wäre bei mir gewesen, als ich das Zimmer betrat.«
Eben das wünschte Rebecca sich nicht. »Komm ins Haus.«
»Mir ist nicht nach Gebeten. Sie wären gewiß nicht ganz aufrichtig.«
Die Magistra mußte gegen ihren Willen lachen. »Keine Angst, mein Kind, es gibt im Haus genug anderes zu tun. Die Köchin findet bestimmt etwas für dich, oder du kannst im Webraum das Garn kämmen.«
»Ist die Schaffnerin Anna dort?«
»Nein. Außerdem habe ich mit ihr ein Gespräch zu führen, fürchte dich nicht.«
»Fürchten? Vor Anna? Nicht vor der Schaffnerin.«
Noch am Tag zuvor hätte Rebecca ihr lebhaft, wenn auch nicht mit solch offenen Worten beigestimmt, doch zwischen gestern und heute lagen ein unerklärlicher Tod und die Geheimnisse der Nacht.
7
N och Fleisch?«
Fritjof van Ypern nickte heftig kauend, und Mertgin reichte ihm eine weitere Schüssel mit Ochsenfleisch und Kraut. Er griff nach dem Weinbecher und spülte den letzten Bissen eines Kapauns herunter. »Ein Lob auf euren Koch«, rief er fröhlich, »man merkt es kaum, daß dies nur Reste sind.«
Reste! Die waren längst an die Krüppel, Bettler und Findlinge vor dem Südportal des Doms verteilt. Mertgin schüttelte unwillig den Kopf und trat hinter den Stuhl des Freiherrn, um seine Munterkeit nicht ertragen zu müssen. Doch dem Junker war nach fröhlichem Gespräch und Mertgin die einzige im kleinen Morgensaal gegenüber dem Kontor. »Die Spanier sind schon früh aufgebrochen. Steife, humorlose Kerle, so gierig wie geizig, so bescheiden, daß es eine Eitelkeit ist und dabei voller Sünde. Vor allem dieser Don Cristobal. Weißt du, was man sich von ihm in Brüssel erzählt?« Er warf achtlos einen Knochen auf die mit Binsenmatten bedeckten Fliesen.
Mertgins Lippen begannen zu zittern, sie faltete die Hände wie zum Gebet, aber hätte sie lieber genutzt, um die Ohren zu verschließen. Nur nichts mehr über Don Cristobal hören!
Der Freiherr drehte sich im Stuhl um und hob seinen Becher. »Ich sag es dir, und du darfst lachen, weil es keiner hört. Dieser Don Cristobal,
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