Die Visionen von Tarot
„Ich teile deine Widrigkeiten … und deine Gründe. Es wird nicht leicht sein, aber es muß getan werden. Zumindest müssen wir das Kind suchen.“
Therion und Amaranth nickten zustimmend. Bruder Paul verspürte die Kameradschaft einer gemeinsamen Erfahrung, als er die drei anblickte, und er freute sich über ihre Zustimmung.
Aber sie alle wußten, daß die Natur ihren Gang gehen würde, wie immer man sie auch definieren mochte. Denn die Natur war nur der andere Name für den Gott von Tarot.
III Chance Trumpf 11
Das Glücksrad des Tarotspiels scheint die ikonographische Transformation eines komplexeren und feinsinnigeren alten Symbols zu sein. Das heißt, die ursprüngliche Bedeutung dieses Zauberrades ist vergessen, und man hat ihm eine neue Bedeutung gegeben. Diese Irrtümer sind beim Tarot geläufig und haben zu einer Reihe der verschiedensten Interpretationen geführt. Das Original in diesem Fall scheint eine Variante des Rades des Werdens zu sein, ebenso wie des Rades von Leben und Tod, wie es auch in der buddhistischen Mythologie präsent ist. Die Quelle dieser Religion des westlichen Asiens ist unbekannt, aber bestimmte ähnlich Themen ziehen sich durch Buddhismus, Brahmanismus und Hinduismus in Indien, wie auch Mithraiismus, Zorastroismus und Judaismus Afrikas und Kleinasiens, was nahelegt, daß es einst einen gemeinsamen Informationshintergrund gegeben hat. Das Rad des Werdens kann sich auch in Babylon als Horoskop der Astrologie manifestiert haben.
In der Mitte dieses Lebensrades befinden sich Tiere, die die drei Wurzeln des Bösen symbolisieren: Lust, Haß und Ignoranz. Fünf Speichen teilen den Hauptkörper in die Bereiche von Hölle, Tiere, Geister, Götter und Menschen. Den Rand entlang liegt der Ring der Ursachen, dargestellt durch zwölf kleine Bilder, die Gegenstände repräsentieren, die zu vielschichtige Bedeutungen haben, um sie hier einfach beschreiben zu können. Ungefähr entsprechen sie: Ignoranz, Lebensbildung, individueller Wahrnehmung, Persönlichkeit, Denken als sechstem Sinn, Kontakt, Gefühl, Begierde, Sex, Ehe, Geburt und Tod. Eine Reihe dieser Begriffe und Bilder kann man mit denen des Tarot gleichsetzen, etwa den brutalen Menschen Ignoranz mit dem Narren des Tarot, den Mann Denken mit dem Hierophanten (Lehrer), die Umarmung der Liebenden beim Kontakt mit den Liebenden des Tarot und den Tod mit dem Tod. Die meisten zeitgenössischen Tarotspiele kennen keine Äquivalente zu den Begriffen der Sensation, Begierde, Sex, Ehe oder Geburt – was nahelegt, daß diese bei der Umwandlung der Formen verlorengingen. Vielleicht wird man sie in angemessener Zeit wieder herstellen, möglicherweise durch das Hinzufügen neuer Karten in das Spiel. In der Zwischenzeit repräsentiert das Rad beim Tarot auch den Begriff der Chance.
Neben einem Fluß stand ein riesiger, schön anzusehender Baum, dessen dichtes Laubwerk sich unregelmäßig nach außen erstreckte und einen tiefen Schatten warf. Es schien ein Feigenbaum zu sein.
Bruder Paul ging darauf zu. Konnte dies der Baum des Lebens sein? Das wäre ein ebenso sicherer Weg zum Gott von Tarot wie ein jeder andere auch. Seine Begleiter waren verschwunden, aber er wußte, sie würden wieder auftauchen, wenn er sie zu ihren Rollen herbeirief.
Unter dem Baum saß ein Mann, der wohl in den Mittdreißigern war. Das Alter war schwer zu bestimmen, weil er frühzeitig gealtert und kleiner geworden zu sein schien. Er wirkte ausgemergelt. Haare und Bart waren rasiert, und er trug Lumpen. Er wandte die Augen nicht ab, als Bruder Paul näher kam.
„Darf ich nähertreten?“ fragte Bruder Paul.
Der kleine Mann machte eine einladende Geste. „Willkommen, Reisender. Es gibt hier Feigen genug, um eine große Menschenmenge zu speisen, und im Fluß gibt es Wasser.“
Bruder Paul setzte sich neben ihn und kreuzte die Beine. Er hob eine Feige auf, wenn der Mann dies tat, und kaute langsam das etwas zähe Fruchtfleisch. „Du bist ein Asket? Ich will mich nicht aufdrängen, wenn du lieber allein sein willst.“
„Ich habe mich mit Asketizismus versucht, bis ich fast aufgezehrt war“, sagte der Mann. „Ich habe aber keine besonderen Erkenntnisse gewonnen. Ich beschloß, daß es nutzlos war, weiterhin zu hungern und mich zu quälen. Dann merkte ich, wenn ich aß und trank und stärker wurde, daß meine Gedanken klarer wurden. Ich merkte, daß die Lehre, die da sagt, daß ein Mensch sich fast zu Tode hungern muß, um in Besitz der Weisheit zu
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