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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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vielen kleinen Schleichwege der grünen Grenze führten. Die Kollegen in Thayngen waren jedoch höchst erfolgreich beim Aufspüren von Schwarzgeld. Hier zogen sie nicht junge Männer in schwarzen Lederjacken und mit verspiegelten Sonnenbrillen aus dem Verkehr, sondern ehrbare, mittelständische Handwerksmeister oder Autohausbesitzer.
    Kommissar Bloch fuhr vor und wedelte mit seinem Personalausweis. Ein kurzer Blick nach draußen. Es waren zwei Grenzbeamte. Ein bullig aussehender Mann und eine zierliche, junge Frau, an der die grüne Uniform mindestens zwei Nummern zu groß wirkte. Der bullige Kollege lächelte, als er ihn durchwinkte. Das Gesicht der jungen Frau blieb ausdruckslos. Ihre langen, blonden Haare waren streng zurückgekämmt und zu einem praktischen Pferdeschwanz gebunden. Sie war so jung, dass sie wie eine Karikatur ihrer amtlichen Funktion wirkte, bar jeglicher Individualität. Inzwischen erkannte der Kommissar auch den Grund für den Ministau. Zwei Zöllner mit kugelsicheren Westen durchsuchten einen großen, schwarzen BMW. Zwei dunkelhäutige Männer mit verspiegelten Sonnenbrillen standen gleichmütig daneben. Ein Kollege vom Zoll beobachtete sie, die Hand an der Waffe.
    Jeder macht halt seinen Job, schoss es Kommissar Bloch durch den Kopf, als er das Auto in eine Parklücke lenkte. Im Schatten des Hauptgebäudes hatte er eine Telefonzelle entdeckt. Bloch stieg aus und begann in seinen Jackentaschen nach Kleingeld zu suchen. Die Kabine war besetzt. Er hörte abgerissene Sätze in einer unverständlichen Sprache. Die Scheiben waren von innen komplett beschlagen. Eine rosafarbene Handfläche wischte ein kleines Fenster in den Schleier und schaute hinaus. Der Kommissar sah riesige schwarze Augen und eine Haarsträhne, die nach vorne fiel. Der Blick senkte sich sofort und die Haarsträhne wurde energisch zurückgeschoben. Es gab ein erregtes Hin und Her von zwei Frauenstimmen. Offensichtlich wechselten sie sich am Hörer ab. Wie oft telefonierten sie von hier aus in die Heimat? Oder telefonierten sie mit Verwandten, die in einem Asylantenheim in einem anderen Bundesland gestrandet waren? Es war auf jeden Fall ein sehr langes Gespräch. Sollte er klopfen oder zum Zoll zurückgehen und von dort aus telefonieren? Amtshilfe. Normalerweise kein Problem. Trotzdem ließ ihn etwas ausharren. Obwohl er fror. Er hatte heute schon zum zweiten Mal eiskalte Füße. Er würde sich erkälten. Vorsichtig, so, als hätte er Angst, sie könnte zerspringen, klopfte er gegen die Scheibe.
    Keine Reaktion. Die Stimmen da drinnen steigerten sich zu schrillen Schreien. Er hätte lauter klopfen sollen. Er würde nicht noch länger warten. Keine Sekunde länger. Er blieb stehen und klimperte mit den Münzen in seiner hohlen Hand.
    Von allen schlechten Eigenschaften, die er in den langen Jahren des Zusammenlebens mit sich selbst festgestellt hatte, hasste Bloch seine Entschlusslosigkeit am meisten. Weniger die Entschlusslosigkeit im Beruf als die im Privatleben. Sie lähmte ihn so oft, dass er gewöhnlich aller Entscheidungen enthoben wurde, weil ihm die sogenannten Sachzwänge geradezu übergestülpt wurden.
    So war in ihm schon seit langer Zeit, wenn nicht ein Leiden, so doch ganz sicher ein diffuses, geradezu körperliches Unbehagen am Privaten. Wenn Bloch nicht höllisch aufpasste, dann metastasierte dieses Unbehagen in alle Lebensbereiche. Der einzige Notausgang, den er in vielen Jahren des Suchens gefunden hatte, war die beharrliche Ausübung des Berufes. Man wusste ja, was hinter Notausgängen kam: kahle Wände, lange Gänge. Nichts wirklich Verlockendes.
    So war es auch absolut schwachsinnig und nicht im geringsten Maße erstrebenswert, abends vor einer Telefonzelle in der Kälte zu warten, um ein Dienstgespräch zu führen. Er würde jetzt sofort zum Zoll gehen. Vielleicht hatten die Kollegen sogar eine Tasse Kaffee für ihn.
    Bloch wandte sich zum Gehen. Die Tür der Telefonzelle sprang auf. Die Stimme einer jungen Frau rief ihm nach: »Du, Herr – bitteschön.«
    Sie trug ein stahlblaues Kopftuch, das auch ihren Oberkörper zur Hälfte verhüllte, sowie einen bodenlangen Mantel. Sie war schwanger. Sie sah aus wie eine Nonne.
    Als der Kommissar steifbeinig zurückkam, senkte sie sofort den Blick. Sie führte eine unglaublich fette Person an der Hand, die etwa die Größe eines zwölfjährigen Kindes hatte und komplett in einen schwarzen Umhang eingehüllt war. Das Einzige, was sichtbar wurde, waren ihre

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