Die Vogelfrau - Roman
immer sehr gut zurecht. Dieser dort war jedoch ein fremder Hund, ein Wachhund, noch dazu einer, der nicht wissen konnte, dass der Kommissar auf der Seite der Guten stand. Als könnte er seine Gedanken lesen, spitzte der Schäferhund kurz die Ohren, gähnte dann seufzend und jappend, drehte sich ein paar Mal um sich selbst, um sich dann zu einem pelzigen Kreis zusammenzurollen. Er legte den buschigen Schwanz über seine Nase und schloss die bernsteinfarbenen Augen.
»Na, du bist mir vielleicht einer!« Es war schon fast eine Beleidigung, dass der Hund ihn so wenig wichtig nahm. Wie sollte er nur in das Gebäude kommen? Er beschloss, es beim Anbau zu versuchen, dort, wo der 600 Jahre alte Lastensegler ausgestellt war. An der linken Gebäudeseite führten ein paar Stufen hinunter. Der Nebel wurde dichter. Die Stufen waren rutschig. Bloch tastete nach einem Halt. Die alten Hauswände waren mit Nässe beschlagen. Er hielt sich weiter links, stolperte im Dunkel gegen eine Pergola, sank mit einem Fuß in der krümeligen Erde eines leeren Blumenbeetes ein und fluchte leise. Den Nachtwächter sah er erst, als er sich an das Licht gewöhnt hatte, das aus dem gläsernen Anbau drang. Der Nachtwächter wandte ihm den Rücken zu und betrachtete offensichtlich den uralten Lastensegler, der sich wie ein schattenhaftes Relief von der Rückwand abhob. Kommissar Bloch klopfte gegen die Scheibe und hielt seinen Dienstausweis gegen das Glas. Der Nachtwächter nickte und deutete auf die Seitenwand. Dort war ein schmaler Nebeneingang. Bloch erreichte die Stahltür mit wenigen Schritten. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Grünliches Licht sickerte heraus.
»Kommen Sie rein. Hier drinnen ist es wärmer. Da draußen ist ja mal wieder so ein richtiges Rheumawetter!« Der Mann redete ununterbrochen, während er die Seitentür wieder sorgfältig verschloss. »Merten mein Name. Wolfgang Merten. Habe mich ja heute Mittag schon mit Ihrem Kollegen länger unterhalten. Komme ja sonst nicht viel zum Reden, müssen Sie wissen. Na ja, so ein Nachtwächterjob ist eben eine einsame Arbeit. Da ist man froh um jede Abwechslung. Aber was willste machen. Heute musste halt nehmen, was du kriegst, oder? – Wollen Sie Kaffee? Wir können rüber, ich bin durch mit meiner Runde und muss erst in einer halben Stunde weiter. Kommt ja auch nicht auf die Minute an, oder?« Er grinste.
Merten war ein mittelgroßer Mann Ende 40 mit absolut nichtssagenden Gesichtszügen und einer unbestimmbaren Augenfarbe. Obwohl er normalerweise ein sehr gutes Gedächtnis für Gesichter hatte, war Bloch sich ziemlich sicher, dass er Merten ohne seine Uniform nicht wiedererkennen würde. Das Angebot zum Kaffeetrinken gab ihm endlich die Möglichkeit, Mertens Redestrom zu unterbrechen. »Nein danke, Herr Merten, ich habe hier noch etwas zu erledigen. Und wenn ich zu dieser späten Stunde noch Kaffee trinke, dann kann ich heute Nacht gar nicht mehr schlafen.«
Merten stieß ihn kumpelhaft in die Seite. »Auch Probleme mit der Prostata? Na ja, will nicht indiskret werden. Tschuldigung, hätte mir ja denken können, dass Sie nicht zu Ihrem Vergnügen hier sind. Hamse noch was vergessen da oben? Na ja, geht mich ja nichts an. Der Gräber ist übrigens auch noch oben. Keine Ahnung, was der treibt. Führt, glaube ich, Selbstgespräche – aber ziemlich laut, das könnense mir glauben. Geht mich ja eigentlich nichts an. Na ja. Nichts für ungut!«
Bloch beeilte sich wegzukommen.
Im Vorübergehen warf er einen nur flüchtigen Blick auf die Knochen in der Totenkammer. Er wusste jetzt, dass diese Ausstellungsstücke, gleich der Mumie, fast alle schon einmal in Zürich gewesen waren. Ein interessantes aber vermutlich unwichtiges Detail. Damals hatte die Zürcher Gerichtsmedizin noch unter einem anderen Chef gearbeitet. Jetzt hieß der Chef Zumkeller und die Gerichtsmedizin nannte sich neuerdings Rechtsmedizin. Ob dort jedoch immer noch alles mit rechten Dingen zuging, war mehr als unklar.
Bloch stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf. Die Tür zum Zwischentrakt, in dem die Büros der Institutsleitung lagen, stand weit offen. Bloch hörte laute Stimmen. Es waren eine Männer- und eine Frauenstimme. Es waren ganz offensichtlich die Löble und Gräber, die sich dort in den Haaren lagen.
»Wie oft habe ich es schon gesagt ...« Das war Gräber.
»Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe. Ich muss mir von Ihnen gar nichts sagen lassen.«
»Frau Löble, diese Sturheit konnten Sie sich vielleicht bei
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