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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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ein Geheimnis, das ihn eigentlich nichts anging.
    »Sie sehen die starke Abmagerung.« Binders roter, wund gescheuerter Zeigefinger zeigte hierhin und dorthin. Glitt in wenigen Zentimetern Abstand über ihre knochigen Hüften, verweilte über ihrem eingefallenen Bauch und tupfte kurz gegen die hohlen Wangen.
    »Gibt es bei der Aufbewahrung der Mumie keine speziellen Bedingungen, die zu beachten sind, Herr Binder? Frau Löble sagte mir, dass sie darauf eingerichtet sind. Aber soweit ich sehe, liegt die Mumie hier mit den normalen Leichen zusammen.«
    »Das müssen Sie mich nicht fragen«, brummte Binder. »Ich habe mich auch schon beschwert. Aber der Chef hat das vor einigen Tagen höchstpersönlich so angeordnet. Vorher lag sie in einer eigenen Kühlkammer. Wenn Sie mich fragen, ich denke, das geht nicht mehr lange gut. Aber ich habe hier ja sowieso nichts zu sagen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Na ja, die Mumie ist offensichtlich all die Jahre unter extrem trockenen Bedingungen aufbewahrt worden. Deshalb ist sie auch so gut erhalten. Aber wenn sie in eine Umgebung mit deutlich erhöhter Luftfeuchtigkeit kommt, dann geht es eben nicht lange gut.«
    »Verwesung?« Der Kommissar formulierte es als Frage.
    »Ja genau, Verwesung. Es ist eine Schande. Schauen Sie mal her!«
    Binder drehte den dürren, brettsteifen Leib der Mumie mit größter Vorsicht auf die Seite. Eine Handvoll flacher, grauer Käfer rannte aufgescheucht davon und raste panikwütig an den Kanten der Blechschublade entlang, auf der Suche nach Deckung und Dunkelheit. Sie sahen aus wie kleine, graue Männchen, den Kopf frustriert zwischen die hochgezogenen Schultern geduckt und die Hände tief in den Manteltaschen vergraben.
    Die Blicke des Kommissars und die von Binder begegneten sich. Binder hatte gelblich verfärbtes Augenweiß mit zahllosen geplatzten Äderchen.
    »Speckkäfer. Dieses Sauzeug findet sich normalerweise in den Speisekammern alter Bauernhäuser. Dort, wo sie die selbst gemachten Würste und ganze Speckseiten aufbewahren. Die Viecher leben von Fett und Eiweiß. Und das hier dürfte ganz sicher auch nicht sein.« Er deutete auf die Stellen, an denen die Mumie auf dem feuchtkalten Metall auflag. Kreuzbeingegend, Waden, Fersen und Schulterblätter waren von einem zarten Flaum überzogen, durchsetzt mit winzigen, weißbuckeligen Pünktchen. Es sah aus wie Akne.
    »Das sind Schimmelpilze.« Binders Stimme klang verbittert. »Wenn sie noch ein paar Wochen so miserabel aufbewahrt wird, verrottet sie vollständig und dann können wir auch kaum noch verwertbare Untersuchungsergebnisse bekommen. Eine Schande ist das – ein so einmaliger Fall und dann das! Aber auf mich hört hier ja sowieso niemand.«
    Er ließ die Mumie wieder zurückrollen. Ihr Gesichtsausdruck war abweisend. Die Mumie wollte ihre Ruhe.
    »Ich verstehe das nicht, Herr Binder. Man hat mir gesagt, dass die Mumie extra hierhin gebracht wurde, weil die Aufbewahrungsbedingungen besser sind.«
    »Ja, das war auch so. Zumindest am Anfang.« Binder zerdrückte ein paar Käfer, die sich unter den Waden der Mumie zu sammeln begannen. »Sie erlauben.« Er schob die abweisend schöne Tote wieder in die Kühlkammer und schloss die Tür mit Nachdruck. Binder betrachtete seine Fingernägel. »Das hat alles ungefähr vor zwei Wochen angefangen, als der Professor Hoffmann hier in Zürich war. Der Chef und er haben einen ganzen Abend lang an der Mumie herumgeschafft und niemand durfte ihnen dabei zusehen. Ich dachte, es war zur Obduktionsvorbereitung oder dass sie irgendwelche Proben entnommen hätten. Neugierig war ich schon. Aber die Tür war zu.« Binder nickte hinüber zum vollelektronischen Eingangsbereich. »Sie hatten sogar die Jalousien runtergelassen.«
    Auch der Kommissar sah nun die dunklen Sichtblenden, die nicht vollständig emporgezogen waren.
    »Was soll ich sagen«, Binders Stimme klang heiser. »Am nächsten Morgen lag sie dann jedenfalls nicht mehr in ihrer separaten Kühltruhe, wo wir die Luftfeuchtigkeit kontrollieren konnten, sondern hier, sozusagen in der allgemeinen Abteilung. Erst dachte ich, es ist vielleicht ein Irrtum. Aber Professor Zumkeller hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich hier nichts zu sagen habe. Was soll ich da machen?« Er zuckte mit den Schultern.
    »Sind Sie unter Druck gesetzt worden, Herr Binder?«
    »Ich? Nein, Herr Kommissar. Ich habe noch zwei Jahre bis zur Rente. Ich habe ein Leben lang immer nur hier gearbeitet. Wenn Sie

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