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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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wissen.
    »Hauptkommissar Bloch, Mordkommission Konstanz. Sie brauchen aber nicht zu erschrecken.«
    »Sehe ich aus wie ein schreckhafter Mensch?«
    Seine Miene blieb unbewegt. Wie alt mochte er sein? Sein Haar war weiß. Er trug es lang, zu einem dünnen Zopf geflochten, der ihm bis weit den Rücken hinunterreichte.
    »Mein Kollege.«
    Cenks Hand mit dem Dienstausweis schoss nach vorne.
    »Was wollen Sie?«
    »Schwer zu sagen, Herr Adler. Uns wurde mitgeteilt, dass Sie sozusagen ein Experte sind – und da dachten wir ...«
    »Experte für was?«
    »Für indianische Kultur zum Beispiel.«
    »Das ist vollkommen sekundär. Ich versuche zu heilen. Menschen kommen zu mir, um Heilung zu finden. Denen versuche ich zu helfen, so weit es eben in meinen Kräften steht. Ich bin ein bescheidener Mensch, Herr Kommissar. Kein Experte.«
    Er sah nicht aus wie ein bescheidener Mensch. Ganz und gar nicht.
    »Vielleicht können Sie uns weiterhelfen, Herr Adler. Wir ermitteln in einem Fall, in dem es um indianische Riten geht.
    Nun, es ist nicht gerade einfach, dafür einen Experten im Bodenseeraum zu finden.«
    »Mal sehen.« Blitzte da so etwas wie Eitelkeit in den stahlblauen Indianeraugen auf? Adlers Gesicht entspannte sich ein wenig; die Kiefermuskulatur, die in ausgeprägten Wülsten sichtbar gewesen war, glättete sich.
    »Kommen Sie rein. Wundern Sie sich aber nicht über die Einrichtung. Wir leben anders als Sie es gewohnt sind. – Die Schuhe lassen Sie bitte draußen.«
    Adler ging barfuß. Seine Füße waren breitgetreten, die Zehen standen weit auseinander und waren von einer harten, rissigen Hornhaut überzogen.
    Sie gingen durch eine schmale Diele, die mit saunaähnlichen Paneelen ausgekleidet war. Es roch muffig. Über der Wohnzimmertür drohte ein mächtiger, ausgestopfter Adler mit weit ausgebreiteten Schwingen.
    Cenk nieste. Seine Hausstauballergie machte ihm sofort zu schaffen.
    Brigitte hätte nie ein eigenes Haus gewollt, schoss es Kommissar Bloch durch den Kopf. Brigitte wollte am liebsten in einer WG leben. Aber das ging doch nicht – er, als junger Polizeianwärter mit Ambitionen, in einer linksalternativen WG. Das konnte einfach nicht gut gehen. Vielleicht hätten sie es in einem eigenen Haus länger miteinander ausgehalten. Ein wenig mehr Raum für alle. Nicht zu vergessen die Schulden, die sie aneinander gebunden hätten. Ein gemeinsames Projekt, das war es wohl, was ihnen gefehlt hatte.
    Die Wohnzimmertür schwang auf. Topsannah kniete auf einem Fell in der Mitte des Raumes. Ihr speckiges, schmuckloses Lederkleid schlotterte um ihren mageren Leib. Ihre dunklen, schweren Haare waren wirr und von glanzlosen grauen Strähnen durchzogen. Die rauen und rissigen Hände ruhten kraftlos auf den Oberschenkeln. Sie bot ein Bild der vollkommenen Seelenruhe, wenn man von ihren Augen absah, weit aufgerissene, dunkle Brunnenschächte, aus denen die nackte Angst herausstierte. Sie sah aus wie ein Kind, das bei etwas absolut Verbotenem ertappt worden war und eine Strafe erwartete, die das Maß des Erträglichen bei Weitem überschritt.
    »Topsannah, begrüße unsere Gäste.«
    Die Frau sprang auf, stolperte beinahe und ging barfuß, mit schleppenden Schritten zuerst zum Kommissar, dann zu Cenk. Sie kreuzte die Arme über der Brust, neigte den Kopf und murmelte: »Seid willkommen in unserem Tipi.«
    Jetzt, im kalten und fahlen Herbstlicht, das durch die weit geöffneten Wohnzimmerfenster hereinsickerte, wirkte Adlers Gesicht verlebt und trug die Spuren einer wechselvollen Vergangenheit. Dennoch wirkte der Mann auf irritierende Weise alterslos. Adler würde wahrscheinlich auch in 20 Jahren nicht sehr verändert aussehen.
    Die Frau war auf jeden Fall einige Jahre jünger. Der Kommissar schätzte sie vorsichtig auf Mitte 30. Sie war jedoch deutlich vorgealtert, ging gebeugt, wie unter einer unsichtbaren Last und ihr Haar war schon viel zu grau. Mit leisem Erschrecken stellte der Kommissar fest, dass ihr mehrere Zähne fehlten. Ihr wohl ursprünglich schönes Gesicht wirkte eingefallen und verhärmt.
    »Setzen wir uns.« Adler wies mit großartiger Geste in die Runde. Der Raum war leer, sah man von einigen Fellen und Decken ab, die den Boden bedeckten. Der einzige Gegenstand, der die Bezeichnung ›Einrichtung‹ verdiente, war eine Art primitive Feuerstelle in einem großen Tongefäß, das in der Mitte des Raumes auf einer rostigen Blechplatte platziert war. An den Wänden hingen Tierfelle und an den Fensterrahmen

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