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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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schaukelten spinnwebenartige, radförmige Gebilde, die mit Perlen und Federn verziert waren.
    »Dreamcatcher«, flüsterte Cenk, der dem Blick des Kommissars gefolgt war. Bloch erinnerte sich, dass diese Dinger die bösen Geister der Nacht fernhalten sollten. Offensichtlich hatte man in diesem Haus große Angst vor nächtlichen Geistern. In jedem Fenster baumelten mehrere dieser Traumfänger.
    Es war empfindlich kalt.
    »Könnten wir vielleicht die Fenster schließen?«, fragte der Kommissar.
    »Nein, völlig unmöglich.« Adler gab keine weiteren Erklärungen ab, sondern wandte sich an seine greisenhafte Frau. »Topsannah, biete unseren Gästen etwas zum Trinken an.«
    Topsannah nickte und verschwand in der Küche.
    Mit leisen Schritten kehrte sie zurück und kniete sowohl vor Bloch wie auch vor Cenk nieder. Beide waren von dieser demütigen Geste unangenehm berührt und tauschten einen schnellen Blick.
    Cenk nahm die bauchige Tonschale aus ihren schmalen, kühlen Händen, nippte daran und stellte sie rasch zur Seite. Der Kommissar versuchte erst gar nicht zu trinken.
    »Es ist Wasser aus einer Quelle«, sagte Adler mit einem strengen Tonfall in der Stimme. »Lebendiges Wasser. Nicht dieses abgetötete Gift aus der Leitung.«
    »Aha.« Bloch war ausgesprochen froh, nichts probiert zu haben.
    »Sie leben hier – allein.« Bloch suchte einen Einstieg ins Gespräch.
    »Schon seit über zehn Jahren, Herr Kommissar. Aber nicht allein; das kann man nicht so sagen. Wir haben noch eine Tochter. Nicht wahr, Topsannah?«
    Die Frau schüttelte den Kopf, schaute dann auf ihren Mann und sagte mit leiser Stimme: »Ja, das stimmt.«
    »Topsannah meint ja und nein«, erläuterte Adler mit ruhiger Stimme. »Zurzeit ist unsere Tochter nämlich unterwegs. Sie ist ja schon ein großes Mädchen und so hat sie sich vor einiger Zeit auf eine große Reise begeben. Wir wissen nicht genau, wann sie zurückkommen wird. Aber wir sind sehr stolz auf sie. Nicht wahr, Topsannah, das sind wir?«
    Die Frau nickte. Sie kniete neben Adler, die Hände flach auf den Oberschenkeln, den Blick gesenkt.
    »Aber Sie sind doch sicher nicht gekommen, um nur ein wenig zu plaudern, Herr Kommissar. Wie kann ich Ihnen denn helfen?«
    »Kennen Sie so etwas?«
    Bloch zeigte ihm Fotos des indianischen Amulettes, das sie unter der Stirn der Leiche gefunden hatten. Topsannah warf einen Blick auf die Fotos und zog scharf den Atem ein.
    »Sie scheinen es zu kennen, Frau Adler?«
    »Ich heiße Topsannah«, antwortete sie mit tonloser Stimme. »Das heißt
Blume der Prärie
. Nur die Männer haben ein Totemtier. Frauen unterwerfen sich einem völlig anderen Initiationsritus. Das Totemtier meines Mannes ist der Adler. Mein Mann
ist
Adler.«
    »Das Amulett, Frau Topsannah?« Der fremde Name ging Bloch nicht leicht über die Lippen. Er beschloss, das Gespräch alleine zu führen. Cenks jungenhafter Charme würde bei dieser Frau nicht wirken, das spürte er genau. Cenk würde schweigen und genau beobachten. Diese Rollenverteilung funktionierte glücklicherweise auch ohne komplizierte Absprachen. Sie waren wirklich ein gutes Team.
    »Dieses Amulett kenne ich.«
    »Sie meint, diese Art von Amuletten kennt sie«, warf Adler schnell ein. »Es ist ein Ritualgegenstand, der Toten auf die letzte Reise mitgegeben wird.«
    »Es gibt keinen Tod«, fuhr Topsannah mit unerwartet scharfer Stimme dazwischen. »Es gibt nur unterschiedliche Stadien des Überganges.«
    »Ja, Liebes, das wissen wir – aber die Herren hier, kennen das vielleicht nicht so genau. Darf ich es erklären?«
    »Ich bitte darum.«
    Das Sitzen auf dem Boden war trotz der Tierfelle und Decken äußerst unangenehm. Bloch verlagerte sein Gewicht, aber das Stechen in der linken Hüfte wurde nicht besser.
    »Es gibt verschiedene Bestattungsrituale bei Indianern, abhängig davon, wo sie leben. Das Ritual sieht bei den Indianern der Hochebenen und des Graslandes anders aus als bei den Urwaldindianern Amazoniens oder bei den Pueblobewohnern.«
    »Ja, das verstehe ich, aber wo können wir denn dieses Amulett einordnen?«
    »Das ist ein Symbol der Hopi-Indianer. Sie lebten in den Pueblos des Südwestens und waren ein friedliebendes Volk, das Ackerbau betrieb. Mais war ihre wesentliche Lebensgrundlage und wenn sie beteten, dann baten sie vor allem um Regen. Schon seit jeher zeichnete sich das Volk der Hopi durch große Propheten und Seher aus, die die kosmischen Zeichen zu deuten wussten. Dieses Amulett symbolisiert den

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