Die Vogelfrau - Roman
stöhnte auf. »Eingeschlossen – na, so was. Kann unser Mörder jetzt auf einmal durch verschlossene Türen gehen? Wer hat denn überhaupt einen Schlüssel zu Hoffmanns Büro? Etwa die Löble? Der Reinigungsdienst hat doch einen Generalschlüssel? Und Professor Gräber als Institutsleiter doch auch. Der hat zwar heute Morgen eine bühnenreife Szene geboten, aber meiner Meinung nach, müssen wir ihn noch mal ganz genau unter die Lupe nehmen.«
Cenk verdrehte die Augen. »Es ist zum Verzweifeln, Chef. Irgendwie scheint die Lösung zum Greifen nah – aber nichts passt so richtig zusammen.«
»Nicht verzweifeln, Cenk. Arbeiten.« Bloch ließ die CD-Rom aus dem Laufwerkschacht gleiten und stand auf. »Dann gehen wir uns mal nützlich machen, Cenk«, seufzte er, während er seinem Assistenten auf die Schulter klopfte. »Wenn wir Glück haben, können wir auf der Pressekonferenz wenigstens ein paar Hinweise präsentieren, sonst dreht Graf noch völlig durch.«
Sie gingen die Treppe hinunter.
»Cenk?«
»Ja, Chef?«
»Hast du dir die Hände von diesem Türken – wie hieß der noch? – angesehen?«
»Özdemir heißt der, ja, das habe ich. Ich schaue mir meistens die Hände an. Warum?«
»Auf der Axt waren die Abdrücke einer kleinen, bis mittelgroßen Hand. Passt das zu dem Türken, Cenk?«
»Nein, das passt ganz und gar nicht. Der Mann hat regelrechte Pranken. Der sieht aus wie ein Holzfäller. Ein richtiger Riese ist das.«
»Dann kommt er wohl nicht in Frage.«
»Das meine ich auch.«
»Wir müssen ihn aber noch mal befragen. Da kommen wir nicht drum herum.«
»Geht in Ordnung, Chef. Ich werde ihn anrufen. – Übrigens, Chef?«
»Hm?«
»Sind wir neuerdings per du?«
»Ich wüsste nicht. Wie kommst du darauf, Cenk?«
Cenk grinste schief.
»Ich glaube, Sie haben es noch gar nicht bemerkt, Chef. Aber seit wir oben in Meyers Labor an dem Hund herumgezerrt haben, duzen Sie mich ununterbrochen.«
»Ist das wahr?«
»Nicht, dass es mich grundsätzlich stören würde, nur ...« Cenk machte an einem Treppenabsatz Halt und starrte aus einem vergitterten Fenster in den trostlos grauen Himmel. In einem großen Betonkübel wucherte eine widerstandsfähige Büropflanze mit harten, gezähnten Blättern, die aufrecht standen wie gezückte Schwerter.
Diese Pflanze stand schon damals dort, als Bloch noch ein junger Polizeianwärter war.
»Sie haben eben so abfällig über Türken gesprochen, Chef.«
»Abfällig, Cenk? Ich? Das hast du wohl ...« Bloch stutzte und verbesserte sich. »Das muss ein Missverständnis gewesen sein. Das lag jedenfalls nie in meiner Absicht. Ich habe nämlich keine Vorurteile, musst du wissen. In unserem Beruf sind Vorurteile sowieso nur hinderlich.«
Cenk starrte weiter aus dem Fenster. Die Pflanze schwieg starrsinnig. Ihre Zähne waren gelblich und hatten vertrocknete Spitzen.
»Es ist einfach so – ich fühle mich da unheimlich schnell angesprochen, Chef. Bin vielleicht auch überempfindlich. Na ja, ist schon klar, da ist ein Gefälle zwischen uns. Ich bin der Jüngere, ich habe nur wenig praktische Erfahrung – ist schon klar.« Cenk ließ die Schultern nach unten sacken.
Bloch betrachtete Cenks Rücken. Ein verstockter Rücken war das, einer mit weit hochgezogenen Schultern. Dieses Bild war ungewohnt. Normalerweise war Cenk sehr locker – ein mediterranes Naturell eben.
»Ach, das habe ich sicher nicht böse gemeint. Muss mir so rausgerutscht sein. Sie sind ein klasse Kollege und ein umsichtiger Ermittler. Ich hatte in all den Jahren nie einen besseren Assistenten. Wirklich nicht.«
»Aber trotzdem kann man mich einfach duzen, ohne mich zu fragen.« Cenk sprach zu der leeren Fensterscheibe. »Ist doch klar, da kann man sehr gut sein in der Schule oder im Job, man kann in Deutschland geboren sein und eure Sprache besser sprechen, als irgend so ein blonder Hinterhofgermane – aber trotzdem ist das ... immer wieder ... ich kriege es halt immer wieder gezeigt ...«
»Wer zeigt dir was, Cenk?«
Bloch war versucht, ihm seinen Arm um die Schultern zu legen.
»Dass ich niemals genauso viel wert bin wie ihr. Dass ich nicht auf Augenhöhe bin mit euch – genau das kriege ich immer wieder gezeigt. Ich bin doch bestenfalls euer Alibi-Türke, ein Beispiel für gelungene Assimilation – aber dazugehören – dazugehören werde ich wohl nie. Das ist es. Verzeihen Sie mir meine Offenheit, Chef.«
Cenk drehte sich um. Sein Gesicht war blass. Seine Augen waren trocken.
»Wir können
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