Die Vogelfrau - Roman
gehen.«
Bloch legte ihm beide Hände auf die Schultern und hielt ihn mit gestreckten Armen auf Distanz.
»Übrigens, Cenk«, sagte er. »Ich heiße Erich.« Ein Lächeln glitt um seine Mundwinkel. »Ab jetzt sind wir beide per du. Ist das in Ordnung für dich, Cenk?«
Jetzt glitzerte es in Cenks Augen. Abrupt drehte er sich aus Blochs Griff.
»Vollkommen in Ordnung, Erich«, sagte er. »Vollkommen.«
Und während sie weiter die Treppe hinabstiegen, sagte Cenk mehr zu sich selbst: »Und wenn wir diesen Fall gelöst haben, dann werden wir einen drauf trinken. Dann lade ich dich zu einem Bier ein – Erich.«
23. Kapitel
Auf Blochs Schreibtisch türmten sich die Akten. Zwei knallgelbe Gesprächsnotizen klebten auf dem höchsten Stapel. ›Wichtig‹ war dort angekreuzt und ›Bitte um Rückruf‹. Bloch wählte die ellenlange Telefonnummer mit Schweizer Vorwahl. Es war Staatsanwalt Bürgi aus Zürich. Einer von sechs Staatsanwälten der Abteilung B. Abteilung B stand für Rechtshilfe bei Strafverfolgung Erwachsener. Bei grenzüberschreitenden Fällen hatten sie schon oft zusammengearbeitet. Der Name Bürgi war Bloch unbekannt. Wahrscheinlich war er neu im Team.
Schon nach dem ersten Freizeichen knackte es im Hörer. Bürgis Sekretärin stellte ihn sofort durch, nicht ohne zuvor einige höfliche Floskeln einzuflechten. Höflich sind sie ja, diese Schweizer, dachte Bloch. Immer höflich und korrekt. Wahrscheinlich sogar dann, wenn sie ein Verbrechen begehen. Die Fassade muss stimmen. Flüchtig dachte er an Zumkellers Designerstühle im Büro.
Die Stimme des Bezirksanwaltes Bürgi klang frisch und unverbraucht. Jeder Satz, den er in schmetterndem Tonfall rapportierte, klang wie ein persönlicher Triumph.
Professor Zumkeller, dieser sinistre Gerichtsmediziner aus der Zürcher Schattenwelt, hatte gestanden. Die Schweizer Kollegen von der Kriminalpolizei, Abteilung Dezernat Leib und Leben, hatten ihn offenbar bis in die frühen Morgenstunden vernommen.
Er war aber erst in dem Moment zusammengebrochen, als er mit der Aussage der Löble konfrontiert worden war. Der Sektionsgehilfe, Oberpräparator Binder, steckte offensichtlich auch bis zum Hals mit in diesem Sumpf. Binder wurde verhaftet, als er dabei war, einen Karton mit menschlichen Überresten unbestimmter Herkunft in den Kofferraum seines Autos zu laden.
Die Mumie blieb beschlagnahmt. Sie würde jetzt noch einmal gerichtsmedizinisch untersucht werden.
»Diesmal jedoch richtig. Sie verstehen?«
Bloch verstand vollkommen. »Diesmal keine Untersuchung in Zürich, nehme ich an. Das wäre ein klarer Fall von Interessenkonflikt.«
»Genau«, bestätigte Bürgi. »Wir werden am besten deutsche Stellen hinzuziehen. Die Mumie wurde ja auch auf deutschem Boden gefunden, wenn ich recht informiert bin.«
»Richtig, auf deutschem Boden. Es war sowieso unsere Intention, die Folgeuntersuchungen in Deutschland durchzuführen. Unsere Institute sind dementsprechend ausgerüstet.« Hatte er einen zu spitzen Tonfall vermeiden können? Manchmal waren die Schweizer Kollegen sehr empfindlich, was nationale Anspielungen anging. Wir sind uns im Grunde genommen zu ähnlich, dachte Bloch. Der hässliche Deutsche, der Sauschwab, wie sie es mehr oder weniger deutlich sagten und die Stadtzürcher – viel zu ähnlich, aber dennoch niemals auf Augenhöhe. So sehr sie sich auch bemühten, sie erblickten im Gegenüber jeweils nur das ungeliebte Spiegelbild. Das konnte einem Angst einjagen. Da musste man eben die Unterschiede betonen, auch wenn sie noch so spärlich waren. Bürgi gegenüber vermied Bloch auch nur den geringsten Anklang an den regionalen Dialekt und sprach ein gewähltes Hochdeutsch: »Eigentlich war es doch von vornherein nicht normal, dass die Mumie mit großem Aufwand in die Schweiz geschafft wurde. Nichts für ungut, Herr Bürgi.«
Die Schweizer nannten die Sprache, die Bloch gewählt hatte ›Schriftdeutsch‹ und hatten Mühe damit. Bürgi schien jedoch zusätzlich unter großem Zeitdruck zu stehen.
»Ich verstehe Sie durchaus«, unterbrach er Bloch mit vor Ungeduld schnarrender Stimme »Nur wird es leider ein noch viel größerer Aufwand werden, die Mumie wieder nach Deutschland zurückzuschaffen. Wir benötigen seuchenmedizinische Gutachten, die Leiche muss in einen Zinksarg eingelötet werden. Das ganze leidige Procedere, auch wenn es nur ein paar Kilometer Luftlinie sind. – Ich sehe da jedoch ein noch viel grundsätzlicheres Problem, Herr Bloch.«
»Und das
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