Die Vogelkoenigin
allem die gewaltigen Staubwolken, die überall durchschlugen und alles einhüllten, hätten sie an den Rand des Erstickens gebracht. Also doch ins Freie ...
Finn hielt Zoe fest, die sich wie eine Wahnsinnige gebärdete. Sie schrie und tobte, wehrte sich gegen seine Arme. »Laura! Laura!«
»Hör auf, Zoe!«, rief Finn mit nassen Wangen. »Wir können da nichts mehr tun.«
»Ich hätte nicht gehen dürfen! Ich hätte zurückmüssen, genau wie Milt, und ...«
»... dann wärst du jetzt ebenso verschüttet.« Er wischte sich die Augen; Staub und Wind reizten sie, das musste es sein.
Zoe brach schluchzend an seiner Schulter zusammen, trommelte mit ihrer Faust auf seine Brust. »Warum hast du es nicht verhindert, du Feigling? Warum ... warum habe ich es nicht verhindert? Alles umsonst! Ich wünschte, ich wäre tot!«
»Sag das nie wieder!« Finn packte ihre Schultern und schüttelte sie. Ihre Maske verschob sich dabei um keinen Millimeter. »Das darfst du niemals sagen, Zoe, hörst du? Du kannst nicht für Laura leben, und du kannst nicht für sie sterben! Nicht so, verstehst du?«
Sie ließ sich wie eine Puppe schütteln. »Aber sie war krank, sie konnte gar nicht mehr richtig denken ...«
»Warte es ab, Zoe! Vielleicht hat Milt sie gefunden, und sie sind rechtzeitig in eine Deckung geschlüpft! Alles ist möglich.«
Finn konnte nicht mehr weiterreden, weil er durch den Staub husten musste. Auch Zoe bekam einen Hustenanfall.
Noch immer bebte das Felsmassiv, es polterte und dröhnte, aber es gab keine Explosionen mehr.
»Pullen! Pullen!«, schrie es über ihnen. Der Seelenfänger löste sich langsam und schwerfällig aus dem Fels und schaffte es tatsächlich, die Segel so unter Wind zu setzen, dass er den Aufstieg schaffte.
Für ein so großes und schweres Schiff war die Galeone erstaunlich wendig und schnell, doch hier war sie an ihre Grenzen geraten. Sie musste zuerst eine gewisse Höhe erreichen und dann beidrehen, bevor sie einen neuen Angriff unternehmen konnte.
Der Rammkeil sah schwer mitgenommen aus, um die Hälfte reduziert. Der Nebel faserte aus, und das Stöhnen der geschundenen Seelen war bis hier unten zu hören. Ein schauriges Geräusch, ähnlich dem, das der Wind zuvor erzeugt hatte.
»Er sammelt sie wieder ein«, sagte einer der Elfen.
Aus den Felsen lösten sich zerfaserte Überreste der Seelen und schwebten, als würden sie davon angezogen, zum Schiff hinauf. Auch der Rammkeil löste sich nach und nach auf, und die Seelen strömten ins Innere der Galeone, in den kühlenden Nebel hinein.
»Jetzt muss er ihnen Kraft spenden, weil ich nicht mehr da bin!«, rief Nidi. »Er wird mindestens eine Stunde brauchen, bis er einen neuen Angriff fliegen kann! Und er wird äußerst gereizt sein ... also noch mehr als sonst, weil er alles selbst machen muss.«
»Dann solltest du dich so weit wie nur möglich von ihm entfernt halten, Nidi«, sagte Finn.
»Und ihr beide mit euren Seelen erst recht«, erwiderte der Schrazel. »Fokke nimmt jetzt, was er kriegen kann, und nach diesem Angriff wird ihm alles recht sein. Der zweite wird daher schlimmer als der erste werden ...«
»Bei allen grauen Bärten!«, rief einer der Soldaten. »Die Berittenen sind jetzt schon ganz nahe, und sie tragen das Wappen von Morgenröte!«
»Also doch Leonidas«, stöhnte Finn.
»Mir völlig egal«, sagte Zoe schniefend.
Sie zuckte zusammen, als Prinz Laycham vor sie trat und ihren Kopf zu sich drehte. »Mir aber nicht«, sagte er ernst. »Du kennst die Geschichte meiner Mutter und was sie Schreckliches durchgemacht hat. Sie hat dennoch nie aufgegeben. Du trägst das Blaue Mal, du bist jetzt meine Gesandte, und du darfst nicht einfach aufgeben.«
Zoe schluckte hörbar. Dann nickte sie. »Du hast recht«, sagte sie tonlos. »The show must go on. Zeig dem Publikum nie deine Tränen und deinen Hunger.«
Sie trat abseits und straffte ihre Haltung. »Ich habe leider keine Stöckelschuhe mehr«, verkündete sie. »Aber ich kann dem Kerl auch so in die Eier treten. Wo ist er?«
Beängstigend nah, wie sie alle feststellen mussten. Sie hatten nur zwei oder drei Minuten. Und es war mindestens eine halbe Hundertschaft, die Leonidas mit sich führte. In jedem Fall waren die Flüchtlinge hoffnungslos in der Unterzahl.
4
Die Löwenkrieger
D ie Elfensoldaten machten sich kampfbereit. Die meisten hatten noch ein Pferd, und Laycham plante, damit die Chancen wenigstens ein bisschen besser standen, die Löwenkrieger zu Pferde
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