Die Vogelkoenigin
schließlich stehen bleiben. Ihr war nach Heulen zumute, die Verzweiflung schmeckte bitter wie Galle in ihrem Mund. »Nein«, jammerte sie. »Nein, nein ...«
Der blonde Mann und das Paar verschwanden um die Kurve des Weges, der zwischen Büschen hindurchführte, und waren fort. Sie hatten nichts bemerkt.
Laura wusste nicht mehr weiter, sie hatte sich zudem überanstrengt. Sie schwitzte durch den schnellen Lauf, und die kalte Luft erzeugte sehr schnell einen eisigen Film auf der Haut, der sie frösteln ließ. Hustenreiz quälte sie; sie bemerkte, wie die Schwäche zurückkehrte, wie die Flecken sich auf ihrer Haut bewegten, wie das Fieber wieder anstieg.
Schluchzend stolperte sie zu einer Parkbank und ließ sich darauf sinken. Ich muss einen Weg finden, ihnen zu folgen, sie auf mich aufmerksam machen. Es ist die einzige Chance, die ich habe. Nur sie können mir helfen! Wieso haben sie erst den Weg zu mir geebnet, wenn ich sie jetzt nicht erreichen kann? Was habe ich falsch gemacht? Was zerrt da ständig an mir?
Sie fühlte sich so schwer wie in einem Traum, der zu alt geworden war, kurz vor dem Erwachen, wenn die eine Seite des Geistes den Morgen begrüßen und die andere Seite des Geistes noch in der Nacht verweilen wollte, und im Schlaf.
Ihr ziellos umhergleitender Blick, auf der Suche nach Antworten oder Hilfe da draußen, blieb an dem Papierkorb neben der Bank haften. Eine zusammengefaltete Zeitung steckte darin, die ziemlich neu aussah. In einem Impuls griff Laura danach und zog sie heraus. Da nichts weiter an ihr haftete, was in den weiteren Tiefen des Eimers verborgen gewesen war, schlug Laura die Zeitung auf und suchte nach dem Datum.
Ihr wurde so übel, dass sie sich beinahe übergeben hätte.
18. Dezember, stand da. Das war weiter keine Überraschung. Dass sie sich im Winter befand, war Laura nicht entgangen, und das konnte man noch irgendwie erklären.
Aber da stand eine Jahreszahl, die nicht im Mindesten mit jener übereinstimmte, an die Laura sich zuletzt erinnerte.
Sie war in der Vergangenheit gelandet!
14
Das lässt
übles erwarten
K ramp der Knickrige stampfte über das Deck und schrie die Mannschaft an, wieder auf Posten zu gehen. Das war gar nicht so einfach, denn viele der Männer waren verletzt, die anderen völlig verängstigt. Erst der Knall der Peitsche konnte sie allmählich zur Räson bringen.
Der untote Kapitän hielt sich ebenfalls an Deck auf, er stand an der Reling und starrte auf das Felsenlabyrinth hinunter. In seiner Nähe wallte Nebel, in dem sich zitternd die gefangenen Seelen aufhielten. Sie mussten jeden Moment damit rechnen, wieder als Rammkeil missbraucht zu werden. Der Steuermann scheuchte den Nebel beiseite, als er auf seinen Kapitän zuging. Eine Seele wich nur zögernd, und Kramp fragte sich, wie viel sie von alldem mitbekam - und Einfluss darauf nehmen konnte.
»Wie könnt Ihr den da in Eurer Nähe dulden, Käpt’n?«, fragte er und deutete mit dem Daumen auf den bleichen Schatten mit den traurigen Augen. Nicht jeder konnte die Seelen so gut wahrnehmen und so deutlich sehen wie er. Wenn überhaupt jemand an Bord außer ihm und dem Kapitän.
Barend Fokke wandte nicht den Kopf. »Andreas ist eine sehr wertvolle Seele, und ich mag seine Neugier. Soll er ruhig alles aufnehmen und sich seine Gedanken machen. Umso mehr kann ich aus ihm herausholen - und er wird mir helfen, die anderen besser ausnutzen zu können.«
Kramp gefiel das nicht. Wurde der Kapitän etwa sentimental und fing an, Gefallen an einer Seele zu finden? Er entdeckte den Schiffsjungen, der sich beim Großmast herumdrückte, und herrschte ihn an: »Hast du nichts zu tun, Landblage? Sieh dich um, überall Federn und Blut, der reinste Müllhaufen ist das hier! Schnapp dir Mopp und Eimer, und los geht’s mit Deckschrubben, sonst zieh ich dir eins mit dem Marlspieker über!«
Der Junge blickte nicht schnell genug weg, sodass Kramp noch ein kurzes Aufblitzen rasenden Hasses wahrnahm, dann sauste er davon.
»Den muss ich mir mal vorknöpfen«, brummte der Steuermann. Er trat neben seinen Kapitän. »Die Mannschaft ist bald wieder voll aufgetakelt, Käpt’n. Wir können den Angriff fortsetzen.«
Fokke lehnte an der Reling und beobachtete das Treiben unter sich. »Immer langsam«, sagte er. »Halse und Wende, Kramp. Ich möchte nichts von da unten versäumen. Angreifen können wir später.«
»Aye-aye, Käpt’n«, sagte Kramp verblüfft. »Dann werden wir in der Zwischenzeit mal das Schiff auf
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