Die Vogelkoenigin
Vordermann bringen.« Er entfernte sich mit wuchtigen Schritten und fragte sich, ob der Kapitän jemals wieder in seiner Kabine verschwand und ihnen die Ruhe und die Möglichkeit ließ, der Arbeit nachzugehen, wie es sich gehörte. Hier war er jedenfalls nur im Weg, zusammen mit seinen Seelen, und brachte alles durcheinander. Jetzt interessierte er sich auch noch für Kriegsvorbereitungen! Als ob sie nichts Besseres zu tun hätten!
Prinz Laycham stieß einen Schrei aus und stürzte von seinem Beobachtungsposten. Mit einem dumpfen Aufprall kam er unten auf und wand sich unter Krämpfen.
Birüc war sofort bei ihm, doch Zoe stieß ihn weg. »Lass ihn!« Sie kniete bei dem Prinzen nieder, der sich keuchend und schluchzend hin und her warf. Sein Körper zuckte unkontrolliert. Er schien nicht bei sich zu sein und reagierte auf nichts.
»Macht Platz!«, zischte Zoe, als Finn und einige Soldaten besorgt näher kommen wollten. Sie drehte sich so, dass nur noch ihr Rücken zu sehen war, und sprach über die Schulter. »Haltet gefälligst Abstand! Ich kümmere mich um ihn.«
»Was hast du denn vor, Zoe ...?«, fragte Finn verstört.
»Ich nehme ihm die Maske ab, und ich lasse nicht zu, dass irgendeiner von euch ihn so sieht. Das kann nur er allein entscheiden, wer ihn so sehen darf und wer nicht.«
»Aber Gesandte, weißt du denn, wie ...«, setzte Birüc an.
Zoe aber fauchte: »Ganz recht, ich bin die Gesandte, die Trägerin des Blauen Mals! Und deshalb weiß ich, was zu tun ist. Also gehorcht jetzt und kümmert euch gefälligst um die Verteidigung des Felsens, denn ich glaube, die da draußen haben eine ziemliche Schweinerei vor.«
Nidi hüpfte an den anderen vorbei, die sich daraufhin zurückzogen, und kletterte über Zoes Schulter. »Ich kann dir helfen«, erklärte er. »Ich weiß ja sowieso, wie er aussieht, und ich glaube, es macht ihm nichts aus.«
»Ja, gut«, sagte sie, und es klang erleichtert. »Bei dir ist das was anderes.«
Sie suchte mit ihren langen, schlanken Fingern nach den Verschlüssen und öffnete sie vorsichtig. Dann zögerte sie kurz, atmete mit einem Stoß aus und nahm die Maske ab. Sie hatte sein Gesicht erst einmal gesehen, im Halbdunkel.
»Bei Odins Auge!«, entfuhr es dem Schrazel.
»Ich dachte, du kennst ...«
»Ja, aber eine scheinbare Sicht ist offenbar etwas anderes als die tatsächliche .«
Die Krämpfe ließen nach, als die Maske seine Atmung nicht mehr behinderte, und der Prinz drehte sich auf den Rücken. Zoe riss sich ein Stück Stoff aus dem Gewand, weil sie nichts anderes greifbar hatte, und tupfte damit behutsam das schweißbedeckte, verunstaltete Gesicht ab. Nach dem kurzen Schock und Ekel war es tatsächlich erträglich, sie konnte es kaum glauben. Vielleicht, weil sie ahnte, wie das Antlitz darunter aussah - es war eben nur eine weitere Maske, basta!
Mit der anderen Hand streichelte sie seine Schulter. »Es ist alles gut«, flüsterte sie. »Du hast es rechtzeitig geschafft.«
»Hoffen wir’s«, bemerkte Nidi und schüttelte ein wenig Goldstaub aus seinem Fell, den er auf die Stirn des Prinzen pustete. »Was für ein niederer Wurm hat ihm das angetan? Das ist keine normale Krankheit.«
»Sein Vater. In Dar Anuin.«
»Verdammte Hacke. Dann kann ich ihm nicht helfen. Ich meine, mit diesem Fluch. Den kann er nur selbst lösen.« Die Fingerchen des Schrazels verrieben den Goldstaub auf der Stirn. »Das wird jetzt nicht leicht, Zoe. Ich glaube, er hat sich zu spät aus dem Adler gelöst.«
»Wie ist er nur auf diese Idee gekommen?«, murmelte sie.
»Er hat versucht, uns zu retten. Eine großartige Leistung übrigens. Auch wenn es schiefgegangen ist.«
»Hoffentlich hat er keinen zu hohen Preis dafür bezahlt.« Sie ergriff seine Hand, wärmte sie und redete weiter beruhigend auf ihn ein.
Nidi legte seine kleine Hand auf die Stirn des Prinzen. »Ich versuche ihn jetzt zurückzuholen. Du redest weiter mit ihm und hältst seine Hand.«
»Kannst du das wirklich?«
»Ich hab Laura zurückgebracht.«
Zoe zog es vor, nicht weiter nachzuhaken. Für diese Geschichten war später noch Zeit. Sie beugte sich über Laycham, hielt seine Hand und bat ihn zurückzukommen. Nidi hatte die Augen geschlossen, seine Lippen bewegten sich, doch kein Laut war zu hören.
Es dauerte eine Weile, schließlich zeigte es Wirkung. Laychams Körper hörte auf zu zucken, er atmete ruhiger ... und dann schlug er endlich die Augen auf. Und blickte direkt in Zoes Gesicht oder vielmehr in ihre
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