Die Voliere (German Edition)
der gelegentlich sein Rohr durchputzen. Kommt ja nicht jeden Tag so eine adrette Dame zu Besuch.«
»Ihre Anzüglichkeiten können Sie sich sparen.«
Tillich grinste nur noch breiter.
»Die meisten Zellen sind offen, Herr Tillich, jeder kann hier rein und sich bedienen. Auch Leute wie …«, im letzten Moment hielt sie sich zurück, einen Namen zu nennen.
»Hier traut sich keiner freiwillig rein.«
Und das verstand Nora nur zu gut. Sie drückte Tillich die DVD in die Hand und sah sich um. Dann fiel ihr Blick auf die Uhr. Ein Uhr vorbei. Das Gespräch mit Lefeber hatte sich länger hingezogen als geplant. Beim Hinausgehen stolperte sie beinahe über die Schildkröte, die sich wieder zur Tür vorgearbeitet hatte. Nora hob das Tier auf Augenhöhe, aber das misstrauische Reptil zog den Kopf ein und versteckte sich in seinem Panzer.
»Den Kameraden hier nehmen wir mit. Oder ist es eine Kameradin?«
Tillich zuckte mit den Schultern.
*
Tibursky stutzte zwar beim Anblick der Schildkröte auf dem Besprechungstisch, doch dann schüttelte er Nora enthusiastisch die Hand. Er war einen Kopf kleiner als sie, ein echtes Leichtgewicht, und mit seinem spitzen Gesicht, den schmalen Lippen und den dunklen Augen hatte er etwas von einem Wiesel. Seine Ärmel waren hochgekrempelt und gaben den Blick auf seine Unterarme frei, die mit selbst gestochenen Tattoos übersät waren.
»Herr Tibursky, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält die nachträgliche Anordnung der …«
»Ach, wozu denn die Förmlischkeide. Hier bin isch für alle nur de Wolle.«
Nora beschloss, Tibursky nicht mehr namentlich anzureden, um weitere Diskussionen zu vermeiden.
»Also, der Europäische Ge…«
»Des weiß isch doch alles schon längst, Mädsche. Ab wann dörffe mer dann ausschecke?«
»In vier Wochen ist der Termin beim Haftrichter. Danach werden Sie entlassen.«
Die Information schien Tibursky zu erschüttern. Ein Zittern lief durch seinen Körper, dann wurden seine Augen feucht. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Wange. »Hädd isch ned gedacht, dass isch des noch mal erlebb. Im Läwe ned.« Er schüttelte ein paar Mal den Kopf, immer noch ungläubig über diese jähe Wende in seinem Leben. Dann lachte er auf und schlug sich auf die Schenkel. »Was wolle Sie wisse?«
Nora beugte sich über Tiburskys Akten. »Sie sind das jüngste von fünf Geschwistern. Mit fünfzehn stahlen Sie einer Nachbarin sechstausend D-Mark, dafür bekamen Sie zwei Wochen Jugendarrest in Gelnhausen.«
»Die had mir des Geld förmlisch uffgedrengd.«
»Und dann hat sie Sie angezeigt.«
»Des war en Schrei nach Uffmergsamkeit. Außerdem konndse meine Eldern geschenübber ja schlescht zugebbe, dass sie misch dademid fürs Vöscheln bezahld hadd.«
»Sie sind mit fünfzehn von Ihrer Nachbarin sexuell missbraucht worden?«
»Na ja, so rischdisch gewehrd hab isch misch ned. Die Nachbarin war schon e schee Schneckscher.«
»Und sie hat Ihnen sechstausend Mark für Ihre Liebesdienste bezahlt?«
»Isch war jeden Pfennisch wert!«
Nora machte mit skeptischer Miene eine Notiz.
»1991 haben Sie einer Rentnerin die Ehe versprochen und die Frau um ihre gesamten Ersparnisse erleichtert. Fast fünfzigtausend D-Mark.«
»Des war nur geliehe. Isch war gerade uffm Weg zur Bank, als die Bulle misch verhafded habbe.«
»Hier steht etwas anderes, Herr Tibursky.«
»Die Bank war am Fluchhaafe.«
»Und das Ticket in Ihrer Tasche?«
»Nach meiner Rückkehr von Brasilie wolld isch ihr des Geld direggt zurüggebbe. Mid Dsinse. Ehrlisch! Isch wollde da in eine Zuggerrohrplantasch eischdeische. Todsischere Sache.«
»Sie haben die alte Dame geknebelt und an einen Küchenstuhl gefesselt, bevor Sie ihre Wohnung verließen. Die Frau hatte keine Angehörigen, sie hätte leicht sterben können.«
»Hädde sie nischd. Isch hab ja selber die Bulle vom Fluchhaafe aus angerufe, damid sie die befreie. Isch wolld ja nur net, dass die Alde mir en Strisch dorsch die Reschnung meschd.«
Nora seufzte. »Drei Jahre wegen Veruntreuung, ein Jahr zusätzlich wegen Freiheitsberaubung. 1995, sechs Monate nach Ihrer Freilassung, haben Sie eine Sekretärin der katholischen Kirchengemeinde dazu angestiftet, die Konten der Pfarrei leer zu räumen. Fünfundneunzigtausend D-Mark.«
»Des war ne guude Daad! Denke Sie mal nach, wo die Vadigganbank die Finger drin hat: Mafia, Waffehandel, Herstellung von Verhüdungsmiddel. Isch hab des Geld nur umverdeild. An Leude, die wo’s
Weitere Kostenlose Bücher