Die Voliere (German Edition)
nicht?«
»Ich bleibe im Gefängnis. Ich kann das bezahlen, ich hab Geld gespart.« Rosens Hände waren feuerrot vom fortwährenden Drücken und Kneten. Er schwitzte, der Ausschnitt an seinem T-Shirt hatte sich inzwischen dunkel vom Schweiß gefärbt.
»Ich befürchte, das geht nicht, Herr Rosen. Am 31. Oktober ist der Termin beim Haftrichter. Danach werden Sie entlassen.«
»Ich will hier nicht weg. Das geht nicht.«
»Herr Rosen, kommen wir noch einmal auf die Entführung von Katharina von Kolbach zurück. Haben Sie …«
»Ich geh hier nich weg. Auf keinen Fall.«
»Ja, das sagten Sie bereits. Trotzdem möchte ich von Ihnen gerne wissen, ob Sie …«
»Haben Sie mich nicht verstanden? Ich bleib hier. Ich geh jetzt zurück in mein Zimmer und es bleibt alles so, wie es ist. Bitte kommen Sie nicht noch mal. Ich … ich bin sehr zufrieden hier.« Rosen wuchtete sich hoch, dabei scharrten die Stuhlbeine über den Boden. Bei seinen letzten Worten war er laut geworden. Der Schließer an der Tür hatte sich erhoben und öffnete den Verschluss des an seinem Gürtel baumelnden Schlagstocks. Nora schüttelte kurz den Kopf – ein Eingreifen hielt sie nicht für erforderlich.
Rosen marschierte zur verschlossenen Tür. Er stand reglos da, während der Schließer mit den Schultern zuckte und Nora fragend ansah. Mit Rosen würde sie im Moment kein vernünftiges Gespräch führen können, das war ihr klar. Allem Anschein nach versetzte ihn der Gedanke an die bevorstehende Freiheit in Angst und Schrecken.
Dieser Fall war offenbar komplizierter, als sie vermutet hatte.
Nora gab dem Schließer ein Handzeichen und die Tür öffnete sich. Wortlos verließ Rosen das Besprechungszimmer. Seine schweren Schritte wurden immer schneller, je weiter sie sich entfernten. Irgendwann hatte Nora das Gefühl, dass er rannte.
Heinz Rosen lief vor der Freiheit davon.
*
Der Schließer namens Tillich blockierte einen Augenblick lang die Tür.
»Ich muss Sie vorwarnen, Herrn Tiburskys Zelle ist … speziell.«
Nora sah Tillich fragend an, aber mehr war dem kahlköpfigen Mann nicht zu entlocken. Betont langsam schob er die Tür auf.
Nora glaubte, durch ein Fenster ins Blättermeer eines Urwalds zu schauen. Rund um sein Bett hatte Tibursky Dutzende Zimmerpflanzen aller Größen verteilt. Ein Geruch wie in einem Gewächshaus schlug Nora entgegen – die Blätter verströmten einen feuchten und süßlichen Duft. Zwischen den Pflanzen und in den Regalen entdeckte sie ein kunterbuntes Sammelsurium exotischer Tiere. Papageien, Affen, eine grüne Schlange, die sich um den Blattstiel einer Bananenstaude wand, und unter dem Schreibtisch kroch eine Schildkröte an einer haarigen Spinne vorbei. Erst in dem Moment, als Nora die zeitlupenartige Bewegung sah, wurde ihr klar, dass alle anderen Tiere in einer Art Schockstarre verharrten. So wie sie selbst.
»Ja, unser Wulle versteht sich meisterhaft darauf, Tonfiguren zu gestalten«, erklärte Tillich.
Nora trat ein. Obwohl ihr ein Schauer über den Rücken lief, fuhr sie mit dem Zeigefinger sanft über den Kopf der grünen Baumpython. Sie konnte die Schuppen auf dem filigranen Körper spüren, folgte mit der Fingerspitze dem gewölbten Schädel, den Nasenlöchern und dem tief eingekerbten Maul. Unglaublich, wie lebensecht das Tier noch aus nächster Nähe wirkte. Tibursky musste Hunderte von Stunden allein in dieses eine Kunstwerk gesteckt haben.
Etwas berührte Noras Knöchel. Sie fuhr zurück und schrie auf. Aber es war nur die Schildkröte, die zum Ausgang kroch.
Tillich lachte, dann hob er das Tier hoch und setzte es zurück an seinen Platz. Die Schildkröte marschierte wieder unverdrossen los. Darin ähnelte sie wohl Tibursky, der Noras Informationen zufolge mehrere Ausbruchsversuche hinter sich hatte. Dass ein Mensch, der einen künstlichen Urwald in seiner Zelle schuf, einen übermächtigen Freiheitsdrang besaß, war nicht im Geringsten überraschend.
Sie arbeitete sich durch den Dschungel zum Schreibtisch vor. Darüber befand sich ein Regal mit einer Sammlung DVDs. Neben Liane, das Mädchen aus dem Urwald und Tarzan , dem Original mit Johnny Weissmüller, gab es noch etliche Softporno-Streifen. Nora zog eine Hülle heraus und überflog die Inhaltsangabe, dann hielt sie die DVD vor Tillichs Nase.
»Finden Sie das in Ordnung? Einige der Insassen haben schwere Sexualdelikte begangen.«
Tillich grinste anzüglich. »Der Wulle ist doch nur ein harmloser Heiratsschwindler. Mit irgendwas muss
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