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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Tür und Tibursky stürzte aus dem Raum. Wenige Augenblicke später kehrte er zurück. Er legte die Baumpython auf den Tisch und direkt daneben einen filigranen Tonanhänger in Form eines Blattes, hauchdünn, grün lackiert, oben mit einem Loch versehen, durch das man eine Kette ziehen konnte.
    »Des gibds gradis dadezu. Und reschd schöne Dank.«
    »Ich habe zu danken, Herr Tibursky.«
    Sie verabschiedeten sich mit Handschlag, dann verließ Tibursky den Besprechungsraum. Nora sah Tibursky nach: Sein Gang war beschwingt, wieder und wieder schüttelte er den Kopf. Sein linkes Bein zog er etwas nach.
    *
    Tobin Kiefer stand im Schlafzimmer im Obergeschoss und rückte den Krawattenknoten zurecht. Der Spiegel, in den er blickte, war ein Erbstück seiner Mutter. Ein hässliches und monströses Stück Gelsenkirchener Barock, in dunklem Holz gerahmt. Aber seit sie nach fünf Jahren Pflege im Dachzimmer gestorben war, hatte er es nicht übers Herz gebracht, das Lieblingsstück seiner Mutter wegzuwerfen. Stattdessen hatte es einen Ehrenplatz bekommen – über der Kommode seiner Frau.
    Den obersten Knopf des Hemdes bekam er schon seit Jahren nicht mehr zu, aber das erwartete auch niemand von einem Brauereibesitzer. Kiefers rosige Wangen täuschten darüber hinweg, dass er den größten Teil seiner Arbeitszeit nicht vor einem Maischebecken, sondern hinter dem Schreibtisch verbrachte. Denn für die schmutzige Arbeit hatte er seine Leute.
    Henk Wawerzinek zum Beispiel, der genauso wenig Grips wie Haare auf dem Kopf hatte. Mit Pranken wie Abrissbirnen und einer unerschütterlichen Loyalität gegenüber seinem Chef.
    Kiefer lächelte sich selbst im Spiegel an. Nicht vor Freude, sondern weil er Lächeln gelegentlich üben musste, um es nicht zu verlernen. Seine Wähler wollten keinen Ortsvorsteher, der sie ansah wie ein hungriger Rottweiler.
    Er verließ das Schlafzimmer und lief am leeren Kinderzimmer vorbei. Seine Frau hatte den Raum längst entrümpeln und umfunktionieren wollen, jetzt wo Ulf Brauereiwissenschaften studierte. Aber Tobin hatte sich vehement dagegen gewehrt. Im Gegensatz zu ihm sollte sein Sohn immer an den Ort zurückkehren können, an dem er aufgewachsen war.
    Unten am Fuß der Treppe hatte Anna Altpapier und aussortierte Unterlagen gestapelt. Als er sich daran vorbeidrücken wollte, bat sie ihn aus der Küche, die Kiste mit hinauszunehmen. Kiefer wuchtete sie hoch und marschierte zur Tür, dabei fiel sein Blick auf einen blauen Schnellhefter, der obenauf lag.
    Sein Herz schlug schneller. Seine Kehle brannte wie Feuer. Das verdammte Sodbrennen fraß sich die Speiseröhre hinauf, wie immer wenn er sich aufregte.
    Er setzte die Kiste ab. Nahm den Schnellhefter und starrte eine Weile mit zusammengebissenen Zähnen auf die erste Seite, deren Inhalt durch die mattierte Folie nur unscharf zu erkennen war. Dann stapfte er in die Küche.
    »Was zum Teufel soll das?«
    Anna drehte sich um, seine Anna, die so schmal war, dass er immer Angst hatte, sie würde wie Glas zerspringen, wenn er mal etwas lauter wurde. Überrascht sah sie ihn an, aber als sie die blaue Mappe in seiner Hand entdeckte, wurde ihre Miene hilflos.
    »Ich dachte, jetzt wo die Sache zu Ende ist …«
    »Diese ›Sache‹ ist erst dann zu Ende, wenn sich die Schreckenmühle wieder in meinem Besitz befindet. Ich lasse mir doch von so einem dahergelaufenen Städter nicht mein Elternhaus vor der Nase wegschnappen.«
    »Was willst du denn machen, Tobin? Der Mann hat den Hof ganz legal ersteigert.«
    »Dass ich nicht lache, legal ersteigert! Wegen eines Formfehlers hat er das Haus bekommen. Und weil der Auktionator keine Lust hatte, zu warten, bis ich alles mit der Bank geklärt hatte.«
    »Jetzt gehört das Haus jedenfalls diesem Albers.«
    »Albrecht. Der wird bald froh sein, wenn er es wieder los ist. Auch wenn er dabei ein Verlustgeschäft macht.«
    Anna schüttelte den Kopf und wandte sich wieder der Zubereitung des Mittagessens zu. Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihr Mann in dieser Angelegenheit für Argumente unzugänglich war. Das war vom ersten Tag an so gewesen, als Kiefer erfahren hatte, dass der chronisch klamme Graf von Rieneck den Wald mitsamt dem darin liegenden Aussiedlerhof versteigern ließ. Tobin war in der Schreckenmühle geboren und aufgewachsen. Und hätten seine vor dem Bankrott stehenden Eltern ihr Hab und Gut nicht vor vierzig Jahren für einen Spottpreis dem Grafen überlassen müssen, würde Kiefer heute noch dort leben.
    Er

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