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Die volle Wahrheit

Die volle Wahrheit

Titel: Die volle Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Waffe so weiterentwickelt und miniaturisiert, bis sie nur noch aus einem Rohr mit Griff und Abzug bestand. Es hieß: Wenn die Assassinengilde jemanden fand, der eine solche Waffe bei sich trug, so würde sie gründlich alle Möglichkeiten untersuchen, sie am menschlichen Körper zu verstecken. Und wer sie gegen einen Wächter einsetzen wollte, musste damit rechnen, schon kurze Zeit später den Boden unter den Füßen zu verlieren und im Wind hin und her zu baumeln.
    Offenbar war unter dem Schreibtisch ein Schalter verborgen, denn eine Tür öffnete sich, und zwei Männer sprangen ins Zimmer. Einer von ihnen war mit zwei langen Messern bewaffnet, der andere mit einer Armbrust.
    Herr Tulpe stellte Schreckliches mit ihnen an.
    In gewisser Weise war dies ein Talent. Wenn ein Bewaffneter in ein
    Zimmer stürmt und weiß, dass ihn dort Ärger erwartet, so braucht er wenigstens einen Sekundenbruchteil, um sich zu orientieren, die Lage einzuschätzen, zu denken. Herr Tulpe benötigte keine Zeit. Er dachte nicht. Seine Hände bewegten sich wie von allein.
    Selbst für die aufmerksam beobachtenden Augen von Herrn Schräg war eine Art geistiger Wiederholung erforderlich, und sogar in der Zeitlupe des Entsetzens fiel es schwer, Einzelheiten zu erkennen. Herr Tulpe packte den nächsten Stuhl und schwang ihn herum. Am Ende der schemenhaften Bewegung lagen zwei Männer bewusstlos auf dem Boden, einer mit einem seltsam verdrehten Arm, und in der Decke steckte ein Messer.
    Herr Nadel hatte sich nicht umgedreht. Er hielt das Gfähr weiterhin auf Herrn Schräg gerichtet. Aus einer anderen Tasche seiner Jacke holte er einen Zigarettenanzünder in Form eines kleinen Drachens hervor, und dann sah Herr Schräg – Herr Schräg, der beim Gehen knisterte und nach Staub roch – einen Stofffetzen an dem Bolzen, der aus dem Lauf der Waffe ragte.
    Herr Nadel wandte den Blick nicht von dem Anwalt ab, als er den Fetzen anzündete. Er fing sofort Feuer. Und Herr Schräg war sehr trocken.
    »Ich habe etwas Schlimmes vor«, sagte Herr Nadel wie hypnotisiert. »Aber ich habe so viele schlimme Dinge angestellt, dass dies kaum eine Rolle spielt. Weißt du, ein Mord ist eine große Sache, aber ein weiterer bedeutet nur noch die Hälfte davon. Verstehst du? Wenn man zwanzigmal getötet hat, so ist es im Durchschnitt gesehen kaum mehr der Rede wert. Heute ist ein schöner Tag, die Vögel zwitschern, es gibt Dinge wie… Kätzchen und so, und der Sonnenschein glänzt auf dem Schnee und verheißt den Frühling mit Blumen und grünem Gras und noch mehr Kätzchen und warmen Sommertagen und erfrischendem Regen und wundervoll sauberen Dingen, die du nie wieder sehen wirst, wenn du uns nicht gibst, was sich in der Schublade befindet, denn du wirst brennen wie eine Fackel, du mieser, betrügerischer, hinterhältiger und vertrockneter Mistkerl!«
    Herr Schräg tastete in der Schublade herum und legte einen weiteren Samtbeutel auf den Schreibtisch. Herr Tulpe warf seinem Partner einen nervösen Blick zu – Herr Nadel hatte nie zuvor Kätzchen erwähnt, außer in Sätzen, die auch das Wort »Wassertonne« enthielten –, bevor er nach dem Beutel griff und den Inhalt untersuchte.
    »Rubine«, sagte er. »Und …t gute.«
    »Geht jetzt«, brachte Herr Schräg hervor. »Unverzüglich. Und kehrt nie zurück. Ich kenne euch nicht. Ich bin euch nie begegnet.«
Er starrte auf die flackernde Flamme.
    Während der letzten Jahrhunderte hatte Herr Schräg viele unangenehme Dinge gesehen, aber derzeit wirkte nichts bedrohlicher als Herr Nadel. Oder irrer. Der Mann schwankte, und sein Blick huschte immer wieder in die dunklen Ecken des Raums.
    Herr Tulpe berührte seinen Partner an der Schulter. »Wir murksen ihn ab und gehen?«, fragte er.
    Nadel blinzelte. »Na schön«, sagte er und schien in den eigenen Kopf zurückzukehren. »Na schön.« Er sah den Zombie an. »Für heute lasse ich dich am Leben«, sagte er und pustete die Flamme aus. »Morgen… wer weiß?«
    Es war keine schlechte Drohung, aber irgendwie kam sie nicht von Herzen.
    Und dann war die Neue Firma fort.
    Herr Schräg setzte sich und starrte zur geschlossenen Tür. Als Toter hatte er in dieser Hinsicht reichlich Erfahrung, und deshalb wusste er: Für seine beiden bewaffneten Sekretäre, Veteranen vieler juristischer Schlachten, kam jede Hilfe zu spät.
    Er nahm ein Blatt Papier aus der Schublade, schrieb einige Worte in Blockschrift, versiegelte das Blatt in einem Umschlag und ließ einen weiteren Sekretär

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