Die volle Wahrheit
ihm liegenden Unterlagen. Lotto,
dachte William.*
Wie ein Orakel, das nur einmal im Jahr spricht, sagte der Komman-
deur schließlich: »Ich traue dir nicht, Herr de Worde. Und mir ist gera-
* Zu diesem Zeitpunkt wurde in Ankh-Morpork noch kein Bingo gespielt.
de der Grund dafür klar geworden. Es liegt nicht daran, dass du Unruhe
stiftest. Es gehört zu meinen Aufgaben, mit solchen Dingen fertig zu
werden. Dafür werde ich bezahlt und bekomme sogar eine Zulage für
die Rüstung. Aber wem bist du verantwortlich? Ich muss al e meine
Entscheidungen rechtfertigen, auch wenn ich nicht weiß, an wen ich
mich derzeit wenden sol . Aber du? Für mich hat es den Anschein, dass
du tun und lassen kannst, was du willst.«
»Ich schätze, ich bin der Wahrheit gegenüber verantwortlich.«
»Ach, tatsächlich? Und auf welche Weise?«
»Wie bitte?«
»Wenn du lügst… kommt dann die Wahrheit und gibt dir eine Ohr-
feige? Ich bin beeindruckt. Gewöhnliche Leute wie ich sind anderen
Leuten gegenüber verantwortlich. Selbst Vetinari behielt – behält –
immer die Gilden im Auge. Aber du… Deine Verantwortung liegt bei der Wahrheit. Erstaunlich. Wie lautet ihre Adresse? Liest sie die Zeitung?«
»Es gibt eine Göttin der Wahrheit, soweit ich weiß«, warf Feldwebel
Angua ein.
»In Ankh-Morpork hat sie nicht viele Anhänger«, kommentierte
Mumm. »Abgesehen von unserem Freund hier.« Er musterte William.
Erneut drehten sich die mentalen Zahnräder.
»Angenommen… nur einmal angenommen… du bekämst eine
Zeichnung, die einen Hund zeigt«, sagte der Kommandeur. »Könntest
du das Bild in der Zeitung bringen?«
»Wir sprechen hier über Wuffel, oder?«, fragte William.
»Könntest du?«
»Ja, kein Problem.«
»Wir würden gern wissen, warum er gebel t hat, bevor… bevor das al-
les passiert ist.«
»Und wenn ihr ihn findet, könnte Korporal Nobbs in der Hundespra-
che mit ihm reden, nicht wahr?«, spekulierte William.
Mumms Gesichtsausdruck fror einmal mehr ein. »Wir könnten dir die
Zeichnung des Hunds innerhalb einer Stunde besorgen«, sagte er.
»Danke. Wer regiert derzeit die Stadt, Kommandeur?«
»Ich bin nur ein Polizist«, erwiderte Mumm. »Mir teilt man solche
Dinge nicht mit. Aber ich nehme an, man wird einen neuen Patrizier
wählen. Es steht in den Statuten der Stadt.«
»Wer kann mir mehr darüber erzählen?«, fragte William und fügte in
Gedanken hinzu: Nur ein Polizist, von wegen!
»Da solltest du dich an Herrn Schräg wenden«, antwortete Mumm.
»Er ist immer sehr hilfsbereit. Guten Tag, Herr de Worde. Feldwebel,
bitte zeig Herrn de Worde den Weg nach draußen.«
»Ich möchte Lord Vetinari besuchen«, sagte William.
»Du möchtest was ?«
»Es ist ein durchaus vernünftiges Anliegen.«
»Nein. Erstens ist er noch immer bewusstlos, und zweitens ist er mein
Gefangener.«
»Lässt du nicht einmal einen Anwalt zu ihm?«
»Ich glaube, Seine Exzel enz hat auch so schon genug Schwierigkei-
ten.«
»Und Drumknott? Er ist doch kein Gefangener, oder?«
Mumm sah zu Feldwebel Angua, die mit den Schultern zuckte.
»Na schön«, sagte Mumm. »Es ist nicht verboten, und wir sollten
vermeiden, dass die Leute ihn für tot halten.« Er löste ein Sprechrohr
von einer Vorrichtung aus Messing und Leder, doch dann zögerte er.
»Ist dieses Problem inzwischen gelöst, Feldwebel?«, fragte er und
schenkte William keine Beachtung mehr.
»Ja, Herr. Das pneumatische Nachrichtensystem und die Sprechrohre
sind jetzt vol kommen voneinander getrennt.«
»Bist du sicher? Du weißt doch, dass Obergefreiter Eifer gestern al e
seine Zähne verloren hat.«
»Man hat mir versichert, dass sich so etwas nicht wiederholen kann.«
»Natürlich kann es sich nicht wiederholen. Immerhin hat er jetzt kei-
ne Zähne mehr. Na schön…« Mumm hob das Sprechrohr, hielt es ein
oder zwei Sekunden auf sicherer Distanz und sprach dann hinein.
»Bitte verbinde mich mit den Zellen.«
»Wsn? Wipwipwip?«
»Wie bitte?«
»Sniedel Flippsickel?«
»Hier spricht Mumm!«
»Schittskritt?«
Mumm legte das Sprechrohr auf die Gabel zurück und sah Feldwebel
Angua an.
»Man arbeitet noch immer daran, Herr«, sagte sie. »Angeblich haben
Ratten an den Rohren geknabbert.«
»Ratten?«
»Ich fürchte ja, Herr.«
Mumm stöhnte und wandte sich wieder an William. »Feldwebel An-
gua bringt dich zu den Zel en.«
Und dann war William auf der anderen Seite der Tür.
»Komm«, sagte Angua.
»Wie bin ich
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