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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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gute Manieren es ihr erlaubten, das
Angebot abzulehnen.
    „Warum?“ fragte Julia.
    „Weil ich viel mehr mit ihnen anfangen
kann.“
    Julia sah auf einen dicken Buschen
gelber Rosen, die in ihrer satten Farbenpracht aus einem Milchkrug leuchteten. „Aber
die Rosen geben doch viel mehr her!“
    „Das schon“, pflichtete Susan ihrer
Mutter bei. „Die Rosen wirken durch sich selbst, dazu kann ich gar nichts tun. Aber
ein Feldblumenstrauß kommt erst richtig durch mich zur Geltung.“
    Julia warf unwillkürlich einen Blick
nach der Tür, Bryan ließ sich jedoch nichts anmerken, ob er Susans Ausruf
gehört hatte oder nicht. Vielleicht war er sich auch nicht darüber klar, was
dieser Ausruf alles besagte und wie schwerwiegend er war für einen jungen Mann,
der eigentlich überhaupt nichts tun wollte, als in der Welt herumreisen. Ihre
Unterhaltung vom vergangenen Tage war Julia noch lebhaft im Gedächtnis, aber da
war noch etwas anderes, was sie beschäftigte, und deshalb ließ sie die
Gelegenheit, sich näher mit Bryan zu befassen — was sie eigentlich hätte tun
sollen — Vorbeigehen. Statt dessen fragte sie wie beiläufig:
    „Bekommen wir nicht nächstens noch
einen anderen Besuch? Deine Großmutter sagte so etwas.“
    Susan sah von ihren Blumen auf.
    „Ja, Onkel William. Er ist zwar kein
richtiger Onkel, aber ich habe ihn immer so genannt. Ich mag ihn sehr gern. Er kommt
übermorgen.“
    „Um mich unter die Lupe zu nehmen“,
bemerkte Bryan von der Tür her.
    Julia beachtete seinen Einwurf nicht. „Sir
William, nicht wahr?“ fragte sie.
    „Sir William Waring. Er war ein guter
Freund von Großvater.“
    Dann ist er mindestens siebzig, dachte
Julia enttäuscht. In dem Alter interessierten Männer sie nicht mehr. Nach ihren
Erfahrungen waren sie dann entweder Tapergreise oder überjugendlich; und die
Über jugendlichen waren die schlimmsten.
    „Er ist ungefähr einundfünfzig Jahre
alt“, rief Bryan, der ihr Gesicht beobachtet hatte.
    Julia ignorierte ihn wieder. „Und ist
deine Tante ebenso nett?“ erkundigte sie sich vorsichtig bei Susan.
    „Zur Zeit nicht verheiratet“, sagte
Bryan.
    Susan warf ihm einen scharfen Blick zu.
Wagst du es etwa, sagte dieser Blick — und es war ein richtiger Packett-Blick—,
dich über meine Mutter lustig zu machen? Ich will gar nicht annehmen, daß du es
wirklich so gemeint hast, aber bist du nicht ein bißchen zu weit gegangen?
    Eine heiße Welle der Dankbarkeit
durchflutete Julias Herz. Es war sehr süß, so von seiner eigenen Tochter in
Schutz genommen zu werden, und einen Augenblick lang empfand sie nichts anderes
als dieses Gefühl. Dann wurde es von einem Gefühl der Scham und einer Art
Schuldbewußtsein verdrängt. Denn eigentlich verdiente sie es gar nicht, daß
Susan sich so für sie einsetzte. Susan war im Irrtum, und Bryan hatte recht.
Weil Bryans eigene Gedanken zweifellos dieselben Wege gingen, wußte er, worauf
sie, Julia, hinauswollte. Susans reines Gemüt konnte das nie durchschauen. Doch
all dieses Durcheinander von Recht und Unrecht hatte auch ein Gutes: es war
Susan — vielleicht zum erstenmal — bewußt geworden, daß in Bryans Natur etwas
lag, das ihrem Wesen fremd war.
    Sie hat ihn noch niemals mit Menschen
seines eigenen Schlages zusammen gesehen, dachte Julia. Komisch, daß ich es
gerade sein muß. Sie blickte ihrer Tochter ins Gesicht, und auf einmal lächelte
Susan. So lieb hatte sie ihre Mutter noch nie angelächelt. Laß sie Bryan sehen,
wie er wirklich ist, ohne zu merken, daß ich vom selben Schlage bin, betete
Julia selbstsüchtig. Ich werde ja doch nicht lange hierbleiben, lieber Gott!
    „Lady Waring“, sagte Susan, indem sie
sich ausdrücklich nur an ihre Mutter wandte, „starb vor etwa zehn Jahren. Ich
erinnere mich kaum noch an sie, ich weiß nur, daß sie sehr nett war. Sie hatten
keine Kinder, ich glaube, deshalb haben sie auch so viel Wesens von mir
gemacht.“
    „Es muß schrecklich sein, keine Kinder
zu haben, wenn man so einen hohen Titel hat“, sagte Julia ernsthaft. „Es ist so
schade drum.“
    Susan lachte. Wie eine gute Lehrerin
wußte sie, daß Strenge durch Freundlichkeit gemildert werden muß, und da sie
eben die Atmosphäre beinahe zum Gefrieren gebracht hatte, bemühte sie sich nun,
sie wieder aufzutauen.
    „Onkel Wilhelm ist kein Baron — er hat
nur den Verdienstadel. Er hatte irgendeine hohe Stellung bei der Admiralität
und wurde nach dem Kriege geadelt. Möchtest du Rosen für dein Zimmer oder

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