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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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gute Meinung
von sich, wie?“ sagte Julia.
    Er sah richtig gekränkt aus.
    „Ich habe auch nicht geglaubt, daß wir
es nötig haben würden, uns gegenseitig so auf den Busch zu klopfen. Ich nahm
an, daß Sie, wenn Sie etwas an meinen Schlipsen oder an meinen Tischmanieren
auszusetzen hätten, es mir offen sagen und mich wahrscheinlich sogar mit der
Nase daraufstoßen würden. Ich habe alle möglichen Knüffe und Püffe erwartet,
Julia, aber nicht die kühle Schulter!“
    Diese Feststellung war so unverschämt,
daß Julia, die sich vier Tage lang wie eine vollkommene Lady benommen hatte,
sie nicht durchgehen lassen konnte.
    „Sehe ich so aus wie jemand, der
handgreiflich wird?“ fragte sie.
    „Ja, das tun Sie, Liebste. Sie sind nun
einmal so. Genau so wie ich zu den Leuten gehöre, denen gegenüber man
handgreiflich wird. Es kommt daher...“
    Julia klopfte nicht länger auf den
Busch, sondern sprach den Satz für ihn zu Ende.
    „...daß wir beide vom selben
Menschenschlag sind“, sagte sie erbittert.
    Es war ausgesprochen, und sie empfand
eine gewisse Erleichterung, aber auch Reue. Er hatte sie von der sonnigen Mauer
ihrer Selbstzufriedenheitaufgescheucht. Er hatte ihr gezeigt, daß ihre
Verkörperung einer Dame nicht so gut war, wie sie geglaubt hatte; schlimmer
noch, er war im Begriff, sie Dinge sagen zu lassen, die zu Szenen mit Susan und
Erklärungen gegenüber Mrs. Packett führen konnten, kurz, die dieser glücklichen
Zeit sorgenlosen Nichtstuns ein Ende bereiten würden...
    „Nun“, sagte Bryan, sie unter seinen Lidern
hervor anblinzelnd, „das ist doch gar kein so schlechter Menschenschlag, oder?“
    Julia antwortete nicht sofort. Es fiel
ihr nicht leicht, ihre Gedanken zu ordnen und in einem klaren Satz
auszudrücken. Sie mußte erst das Durcheinander ihrer Gefühle entwirren und dann
versuchen, sie in Worte zu kleiden; und da das, was sie jetzt mitzuteilen
hatte, von größter Wichtigkeit war, dauerten die Vorbereitungen dazu
entsprechend lange.
    „Nicht schlecht“, sagte sie
schließlich. „Nicht durch und durch schlecht. Aber schlecht im Vergleich mit
Menschen wie Susan und ihre Großmutter. Den Vergleich mit anderen Leuten können
wir noch immer ganz gut aushalten. Wenn Sie mich fragen“, sagte Julia, „ich
finde, wir sind nichts Ganzes und nichts Halbes. Solange wir mit unsereins
zusammen sind, geht alles gut. Wir tun nichts Böses. Erst wenn wir uns mit den
anderen mischen — mit den wirklich Guten —, dann kgnnen wir Unheil anrichten.
Wenn Sie Susan heiraten, werden Sie sie bestimmt unglücklich machen.“
    „Sie haben Susans Vater geheiratet“,
sagte Bryan rasch. Julia zog die Schultern hoch. „Das war etwas anderes. Es war
der Krieg. Wenn er nicht gefallen wäre, hätte ich ihn sicher unglücklich
gemacht.“
    „Sie hätten es gewiß verdammt gut
verstanden, ihm die Zeit zu vertreiben.“
    „Daran liegt ihnen gar nicht so viel“,
sagte Julia nüchtern. „Sie wollen sich die Zeit auf eine ganz andere Art
vertreiben. Ich kann es beim besten Willen nicht ausdrücken. Aber ich erinnere
mich, als ich Susan erwartete und auch nach ihrer Geburt, wie gut sie zu mir
waren — sehen Sie, man kann nicht von ihnen sprechen, ohne das Wort ,gut’ zu
gebrauchen —, und trotzdem paßten wir nicht zusammen. Sie mochten mich wirklich
gern und betrachteten mich ganz wie ihre Tochter, und ich war so dankbar,
besonders, weil ich es gar nicht erwartet hatte, daß sie mich so herzlich
aufnehmen würden. Ich dachte, ich könnte alles für sie fertigbringen; ich gab
mir auch viel Mühe und sie auch, aber es ging doch nicht.“
    Der junge Mann machte eine ungeduldige
Bewegung. Es liegt alles viel zu weit zurück und interessiert ihn gar nicht,
dachte Julia.
    „Das verstehe ich schon“, sagte er, „aber
Sie müssen doch einsehen, daß der Fall bei Susan und mir ganz anders liegt. Wir
sind beide jung, wir lieben uns...“
    „Ja, aber was werden Sie tun?“ unterbrach
ihn Julia. „Sie sind doch so etwas wie ein Anwalt, nicht wahr?“
    „Beim Gericht, meine Liebe. Jedenfalls
bin ich ernannt worden, aber ich weiß noch nicht, ob ich mein Amt überhaupt
antreten werde.“ — „Warum nicht?“
    „Zuviel Tretmühle. Ich will nicht die
nächsten zehn Jahre meines Lebens in einer Tretmühle verbringen. Ich will mich
ein bißchen in der Welt umsehen und. andere Länder und Leute kennenlernen. Ich
habe von meiner Mutter eine Jahresrente von fünfhundert Pfund geerbt, und wenn
ich Susan heirate, wird

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