Die vollkommene Lady
mein alter Herr bestimmt noch etwas dazulegen. Er wird
entzückt von ihr sein.“
Julias Gedanken gingen zurück zu der
Garderobe im „Frivolity“ und zu der betrunken daliegenden Gestalt von Sir James
Relton. Bryan hatte ganz recht: einer Schwiegertochter wie Susan gegenüber
würde der alte Lebemann sich sicherlich großzügig erweisen. Er würde wissen,
wen er da in die Familie bekam. Und Susan würde ja auch eine ganze Menge Geld
haben. Zusammen würden Bryan und sie durchaus in der Lage sein, erster Klasse
in der Welt herumzureisen. Nur — würde Susan sich wohl dabei fühlen? War sie
sich darüber klar, was ihr bevorstand? Ich glaube, die beiden haben keine
Ahnung voneinander, dachte Julia...
„Ich weiß, was Sie denken“, fuhr Bryan
fort, „aber — verzeihen Sie, wenn ich es so offen sage — Sie irren sich.“
„Wenn es nach mir ginge“, sagte Julia,
ihren eigenen Gedankengang weiter verfolgend, „würde ich Sie beide für einen
Monat zusammen auf Reisen schicken, damit Sie sich richtig kennenlernten.“
Bryan grinste. „Nichts, was ich lieber
täte, teuerste Julia.“
„Daran zweifle ich nicht“, sagte Julia
kurz. „Warum schlagen Sie es ihr also nicht vor?“
„Weil...“
„Weil Sie ganz genau wissen, daß Sie es
dann ein für allemal mit ihr verdorben haben würden.“
„Keineswegs“, verbesserte Bryan mit
einem plötzlichen Anflug von Würde. „Weil — ich hätte eigentlich angenommen,
daß Sie das wüßten — die Gefühle eines Mannes der Frau gegenüber, die er
heiraten will, ganz andere sind als die einem Mädchen gegenüber, mit dem er
sich nur... amüsieren will. Er fühlt sich eben — na ja, verantwortlich.“
Julia sah ihn an.
„Sie hätten nur eben Ihr Gesicht sehen
sollen“, sagte sie. „Es lag auch nicht eine Spur von Verantwortlichkeit darin.“
Dieses Mal hatte sie das letzte Wort
behalten.
*
Sie empfand jedoch keinerlei
Befriedigung darüber. Sie fühlte sich unbehaglich und unsicher und war mehr
denn je davon überzeugt, daß sie sich in Kürze höchst unbeliebt machen würde.
Und Beliebtheit war für Julia geradezu eine Lebensnotwendigkeit. Sie zog es
vor, in einer billigen Kaffeestube eine Rolle zu spielen als unbeachtet in
einem teuren Restaurant gut zu Mittag zu essen. Sie werden mich nie verstehen,
dachte Julia bekümmert. Sie werden nur denken, daß ich unbedingt mein Gewicht
in die Waagschale werfen will. Sie seufzte tief. Das war noch ein anderer
Kummer, ihr Gewicht! Es ließ sich nicht leugnen, daß ihr Korsett schon strammer
saß als vor einer Woche. Es war keins zum Schnüren, sondern eins mit
Reißverschluß, das nicht nachgab...
Julia war daher nicht gerade rosiger
Laune, als sie die Steinstufen hinaufstieg und oben ihre Schwiegermutter traf.
Mrs. Packett hingegen sah sehr vergnügt aus; sie hielt einen Brief in der Hand
und hatte offenbar gute Nachricht erhalten.
„Sir William kommt nächste Woche!“
sagte sie. „Wie du weißt, Susans Vormund, ein reizender Mensch!“
Ein Mann! dachte Julia.
Die schwarzen Wolken ihrer Mißstimmung
hüllten sie noch ein, aber am Horizont sah sie es bereits hell aufschimmern.
10
J eden Morgen füllte und ordnete Susan
die Blumenvasen, genau so wie es Julia vor langer, langer Zeit in Barton getan
hatte. Aber Susan verrichtete diese Arbeit mit Liebe. Sie pflückte nicht nur
die Rosen aus dem Garten, sondern auch alle möglichen wildwachsenden Blumen und
Gräser, und machte Feldblumensträuße daraus — das heißt, oft steckte sie zu
Julias Erstaunen nur einige wenige Blütenstengel und Ranken in ein Glas, die
manchmal schon am nächsten Tage verwelkt waren. Susan machte das nichts aus,
jeden Morgen pflückte sie neue. Einige von ihnen waren wirklich sehr hübsch,
kurze Vergißmeinnicht mit ihren winzigen Blüten, saftiger Klee mit dicken,
runden Purpurköpfen und eine große, merkwürdig stakige Pflanze mit hellblauen
Rosetten, die den ganzen Stengel entlangwuchsen. Aber Susan hörte damit noch
nicht auf, sie pflückte sogar Gräser und trockene Zweige.
„Ich glaube, du magst die
Feldblumensträuße am liebsten“, rief Julia eines Morgens verwundert aus.
„Ja“, gab Susan zu. Sie befanden sich
in dem alten Gartenzimmer neben der Küche, wo Susan ihre Vasen auf einem Bord
über dem Brennholz aufbewahrte. Bryan lungerte in der Tür herum, müßig wie
Julia. Sie hatten beide den Wunsch geäußert, ihr zu helfen, schienen jedoch so
wenig Lust dazu zu haben, daß sogar Susans
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