Die vollkommene Lady
Glastür, sah Mr. Rickaby und
antwortete lächelnd: jawohl, es gebe einen. Julia kaufte daraufhin ein Paar
hübsche Strumpfbänder, um das Geld zu wechseln, und gab der Verkäuferin ein
Trinkgeld, als sie sie zur Hintertür hinausließ. Draußen fragte sie nach der
nächsten Garage und nahm sich dort einen Wagen, der sie für
zweihundertundfünfzig Francs nach Muzin zurückbrachte. Diese Ausgabe riß ein
großes Loch in ihr Kapital, doch wies ihr Haben immerhin noch über
siebenhundert Francs auf.
*
Merkwürdigerweise empfand Julia
Gewissensbisse, obgleich sie sich doch so höchst damenhaft benommen hatte. Aber
so war es nun einmal: wie sie da im Wagen saß mit ihrer von Mr. Rickabys Geld
angeschwollenen Handtasche, konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie
— nun ja, richtig gemein gegen ihn gewesen war.
Er hat sich’s selbst eingebrockt,
beruhigte sie sich. Er hat va banque gespielt und eben verloren. Ich hoffe, es
wird ihm eine Lehre sein!
Diese neuartige Auffassung ihrer
Handlungsweise — daß sie nämlich ganz selbstlos und bewußt Mr. Rickaby auf das
Abwegige seines Tuns aufmerksam gemacht hatte — brachte ihr Gewissen für einige
Minuten zum Schweigen. Aber das Schweigen hielt nicht an. Trotz aller ihrer
Bemühungen sah Julia ihn immer wieder vor sich, wie er da vor dem Schaufenster
wartete und anfing, sich zu wundern, wo sie wohl blieb, und wie er dann
vielleicht in den Laden gegangen war und sich vor der Verkäuferin lächerlich
gemacht hatte und dann mit einem roten und wütenden Gesicht auf die Straße
zurückkehrte. Natürlich gehörte das zur Heilsamkeit der Lehre mit dazu, aber
Männer nahmen so etwas immer so tragisch...
Um sich ein wenig von diesen Gedanken
abzulenken, packte Julia die neuen Strumpfbänder aus und probierte sie an. Es
waren schwarzseidene, mit silbernen Halbmonden besetzt. Sie zog ihren Rock
hoch, streckte ihr wohlgeformtes, wenn auch etwas kräftiges Bein aus und fand
den Gesamteindruck außerordentlich zufriedenstellend. Natürlich drehte sich der
Schofför gerade in diesem Augenblick um und fragte nach dem Weg.
„Das ist bei Belley, Madame?“
„Ja, ja“, sagte Julia und zog ihren
Rock wieder herunter.
„Ja, ja“, grinste der Schofför.
„Passen Sie mal da vorn auf Ihr
Steuerrad auf“, sagte Julia.
Sie war wütend, nicht weniger über sich
selbst als über ihn, und dieser kleine Vorfall brachte ihr Gleichgewicht ins
Wanken. Wenn Susan hier statt ihrer gesessen hätte, würde er es niemals
riskiert haben. Aber andererseits hätte Susan nie Strumpfbänder im Auto
anprobiert... Nein, es muß etwas anderes sein, dachte Julia. Irgendwie liegt es
an mir selbst. Die Männer wissen, daß sie mir über sind, und das nutzen sie
aus. Gemein finde ich das.
Vor Ärger wurde ihr heiß, und in der
unterbewußten Absicht, sich vor sich selbst zu rechtfertigen, ließ sie ihn an
Mr. Rickaby aus. Der alte Kerl hätte ihr Vater sein können— oder doch sehr
beinahe! Dieser alte Faun, dachte Julia. Hätte sie nicht so viel
Geistesgegenwart gehabt, sich rechtzeitig davonzumachen — was hätte ihr nicht
alles passieren können! Der Gedanke, daß er immer noch in Aix frei herumlief,
zweifellos gerade damit beschäftigt, die nächste durstige junge Dame
einzufangen, die ihm in die Quere kam, beunruhigte Julia höchstlich. Sie hätte
wirklich zur Polizei gehen und ihn festnehmen lassen sollen. Er war eine
ständige Bedrohung weiblicher Tugend, kein Wunder, wenn junge Mädchen auf
Abwege gerieten.
Immerhin — meldete sich leise die
Stimme ihres Gewissens, und komischerweise sprach sie genau so wie die
rothaarige Luise — immerhin, meine Liebe, du hast ihn doch an der Nase geführt...
Julia klopfte an die Trennscheibe und
ließ den Schofför halten. Sie befanden sich kurz vor dem Dorf, und sie hatte
keine Lust, unnötiges Interesse zu erwecken. Als sie dem Schofför das Trinkgeld
gab, faßte er nicht mit zwei Fingern an die Mütze, sondern riß sie mit einer
tiefen Verbeugung vom Kopf. Und obwohl Julia ziemlich überzeugt davon war, daß
sich das nicht gehörte, wagte sie es nicht, ihn zurechtzuweisen. Sie hatte das
deutliche Gefühl, daß sie, wenn sie jetzt den Mund aufmachte, nur fluchen
könnte.
*
Der erste, der ihr in Les Sapins über
den Weg lief, war Bryan Relton. Mit einem übertriebenen Ausdruck von
Erleichterung kam er sofort auf sie zu. „Meine liebe Julia! Wo haben Sie um
Himmels willen gesteckt?“
„Ich habe einen Spaziergang
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