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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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Gesichtszüge. Die nächsten Worte kamen ihr bedeutend leichter, fast
heftig, über die Lippen, als ob sie den Mut zu einem zurückgedrängten
Geständnis wiedergefunden hätte.
    „Wenn ich es bin, werde ich es auch
mein ganzes Leben bleiben. Darüber mußt du dir klar sein, Bryan: wenn du mich
jetzt zu schwierig findest — ich glaube nicht, daß ich mich noch ändern werde.
Ich kann mich nicht verstellen. Ich kann nicht so tun, als ob etwas nicht
wichtig wäre, wenn ich es für wichtig halte. Dinge, die dir viel zu geringfügig
erscheinen, um sich darüber aufzuregen. Ich weiß, es klingt eingebildet— aber
ich habe es versucht, mich selbst genau zu beobachten... „ Es folgte ein langes
Schweigen. Sie waren beide zu bewegt, um sprechen zu können; beide fühlten sie
sich plötzlich beschämt, Susan durch das Wunschbild ihrer eigenen
Vollkommenheit, einer unverletzlichen Reinheit der Seele, und Bryan, weil Susan
ihm eine ähnliche Empfindung einflößte. Es war die tiefste Empfindung, die ihn
je überkommen hatte, und ihm so fremd, daß er sie nicht begreifen, sondern nur
fühlen konnte. Als er schließlich sprach, waren seine Worte zwar unbeholfen,
aber doch von einer starken Aufrichtigkeit getragen.
    „Du bist der beste Mensch, den ich mir
vorstellen kann, Susan. Man kommt sich neben dir ganz klein vor.“
    Da sie ein paar Schritte vor ihm ging,
wandte sie sich halb um und faßte nach seiner Hand. Er hielt sie fest und
drückte einen Kuß darauf.
    „Du stehst so verteufelt — so
himmelweit über mir — du wirst mich erst zu dir hinaufziehen müssen.“
    „Werde ich es können?“
    „Wenn du nur willst, dann kannst du es
auch. Natürlich — leicht wird es nicht sein.“
    Sie zog ihn dicht an ihre Seite, und
Arm in Arm setzten sie ihren Weg fort.
     
    *
     
    Am selben Abend, zum erstenmal seit
ihrer Ankunft in Muzin, fühlte Julia sich unglücklich. Sie hatte sich dreimal
die Karten gelegt, jedesmal mit einem schlimmeren Ergebnis. Sie würde im Alter
schwer zu leiden haben; ein blonder Ausländer würde sie sitzenlassen; ihre
Pläne würden durchkreuzt werden. Eigentlich überraschte sie das durchaus nicht,
denn es ging ja schon alles schief.
    Ihr erfolgreicher Beutezug nach Aix
hatte völlig unvorhergesehene Folgen gezeitigt, ebenso wie ihr Bemühen, Bryan
eine Niederlage beizubringen. Er und Susan waren geradezu strahlend vor Glück
nach Hause gekommen, waren den ganzen Abend auf der Terrasse auf und ab
gegangen und hatten über Bryans Zukunft gesprochen. Es hält bestimmt nicht an,
dachte Julia; aber wenn sie ihrer Tochter ins Gesicht sah, wurde sie wieder
unsicher. Susan wußte so genau, was sie wollte! Aber selbst wenn es ihr gelang,
auf Bryan den besten Einfluß auszuüben, wenn sie es erreichte, daß er sich in
die Tretmühle der Arbeit zwingen ließ, und sie aus ihm eine überragende Säule
des Gesetzes machte — seine Natur würde sie doch nicht ändern können. Mochte er
sich auch jahrelang als eine feste Stütze des Rechts behaupten — eines Tages
würde er doch ins Wanken geraten, und Susans so mühsam errichtetes Gebäude
würde einstürzen.
    Vielleicht hab’ ich einfach zuviel
gegessen, dachte Julia, ganz bestürzt über ihre eigene düstere Prophezeiung.
Das ist mir noch nie gut bekommen... Aber sie wußte, daß sie sich selbst etwas
vormachte; im Gegenteil, gutes Essen bekam ihr stets ausgezeichnet.
    Immerhin ging sie in ihr Zimmer und
nahm etwas Natron; und ob es nun dies war oder der lange gesunde Schlaf—
jedenfalls fühlte sie sich am nächsten Morgen beim Aufwachen bedeutend wohler.
Sie war zwar noch immer etwas melancholisch gestimmt, aber mehr mit einer
Neigung zur Sentimentalität. Und da sie die Veranlagung hatte, jedes Gefühl
immer gründlich auszukosten, schlich sie sich allein aus dem Haus und stieg zu
dem chinesischen Pavillon hinauf.
     
     
     

14
     
    I n der Nähe betrachtet, war er noch
baufälliger, als Julia angenommen hatte, denn selbst die Ausbesserungen waren
bereits wieder reparaturbedürftig. Die Blechverkleidung unter dem Dach hielt
nur noch das mildeste Wetter aus. Überall an den Wänden zogen sich lange
Zickzacksprünge durch den Putz. In den Ritzen der Dielen wuchs Unkraut,
Spinnweben hingen zwischen den Balken, und das einzige, was in dem Pavillon
noch eine Spur von Eleganz aufwies, war eine kleine, schlanke, grau-grüne
Eidechse, die vor Julias Schritten die Flucht ergriff.
    Ihre Enttäuschung war groß. Sie hatte
erwartet, verschlungene Namenszüge von

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