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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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mehr an die Freundin gedacht, aber es
war komisch, daß Mr. Rickabys Ausspruch sie ihr plötzlich so lebhaft in
Erinnerung brachte. Luise mit dem roten Haar, um die sich so viele Männer
gerissen hatten...
    „Das haben Sie sicher schon öfter
gehört“, sagte Mr. Rickaby, der Julias Gesicht beobachtet hatte. „Aber was soll
ein Mann denn sagen, wenn es doch wahr ist?“
    „Da haben Sie recht“, murmelte Julia.
    „Ich will nicht behaupten, daß man es
leicht mit mir hat“, gab Mr. Rickaby zu. „Vielleicht bin ich komplizierter als
die meisten Männer. Ich habe sehr verschiedene Interessen — für Malerei und
Musik und bin sehr naturliebend. Ich habe — nun ja, ich habe eben noch Ideale.
Aber dafür bringt nur eine Frau wie Sie Verständnis auf.“
    Julia nickte. Sie hatte oft darüber
nachgedacht, warum wohl Ehefrauen ihre Männer nicht verstanden, während Frauen
wie sie es ohne weiteres taten. Die einzige Erklärung, die sie dafür gefunden
hatte, war die, daß man eben sehr viele Männer kennen mußte, um den vollen Wert
ihrer guten Eigenschaften schätzen und ihre schlechten verzeihen zu lernen.
Wenn man zum Beispiel an einen Säufer geriet, konnte man sich dann vielleicht
an einen anderen erinnern, der noch mehr getrunken hatte, und dieser wiederum
konnte einen so hohen Grad von Klugheit und Großzügigkeit besitzen, daß er
einem Abstinenzler bei weitem vorzuziehen war.
    Aber dazu bedurfte man vieler
Erfahrungen, und gerade diese hatten die meisten Ehefrauen nicht. Die kannten
nur einen — ihren Mann, während Frauen wie Julia Dutzende kannten. Frauen wie
Julia wiederum wurden selten geheiratet. Es war schon eine blöde Einrichtung,
wenn man es sich überlegte...
    Ausnahmen kommen allerdings vor, dachte
Julia, als ihr ihre eigene Ehe einfiel. Ihre Gedanken gingen zu Susan und
wandten sich gleich wieder fort, genau so wie ihre Augen sich abgewandt hätten,
wenn Susan plötzlich hier auf der Caféterrasse erschienen wäre.
    „Aber Sie müssen doch irgendwo
übernachten“, sagte Mr. Rickaby unvermittelt.
    Julia zögerte. Das Eingehen auf Mr.
Rickaby war, soviel Spaß es ihr auch machte, mehr eine Folge der Gewohnheit als
eines festen Planes gewesen. Sie war sich noch gar nicht darüber klar, was nun
werden sollte.
    „Ich weiß nicht...“
    „Ich bringe Sie in mein Hotel“, sagte
Mr. Rickaby entschlossen. „Sie müssen mir schon erlauben, daß ich mich ein
bißchen um Sie kümmere.“
    Sie drückte seine Hand. Das mußte sie
schon tun. Sie fand ihn wirklich sehr nett. Die Dankbarkeit, die jene Julia
empfunden hätte, die so schmählich von Lucien behandelt worden war, schwellte
ihr Herz. Aber ihr Kopf blieb klar.
    „Das geht doch nicht“, murmelte sie. „Ich
habe doch gar kein Gepäck.“
    „Dafür werde ich schon sorgen“, sagte
Mr. Rickaby. Er war von einer fürstlichen Großmut, und er wußte es auch. „Wir
werden eben etwas kaufen. Wir werden einen Handkoffer erstehen, und was Sie
sonst noch so brauchen. Einverstanden?“
    Julia war völlig überwältigt. Ihre
Gedanken arbeiteten jedoch weiter.
     
    *
     
    In Anbetracht der Tatsache, daß Julia
in Aix völlig fremd war, bewies sie ein gewisses Geschick darin, das
Wäschegeschäft zuerst ausfindig zu machen. Sie kamen zwar auf dem Wege dorthin
an einem Lederwarengeschäft vorbei, aber sie lenkte die Aufmerksamkeit ihres
Begleiters davon ab, indem sie ihn plötzlich ansah und fragte, wie er mit
Vornamen hieße.
    „Bill“, sagte Mr. Rickaby.
    „Ich kann Sie unmöglich Bill nennen“,
erklärte Julia. „Es ist so ein Dutzendname.“ Und als sie sich schließlich
dahingehend geeinigt hatten, daß sie ihn Ronald nennen wollte, waren sie an dem
Ledergeschäft vorbei.
    Das nächste Gefahrenmoment war das
Schaufenster des Wäscheladens, aber der Takt ihres Begleiters kam ihr hier zu
Hilfe. „Wollen Sie draußen warten?“ sagte Julia und hatte es nicht einmal
nötig, hinzuzufügen, daß sie ihn überraschen wollte. Mr. Rickaby zog einfach
seine dicke Brieftasche heraus und überreichte ihr zwei Fünfhundertfrancsnoten.
    „Wissen Sie auch“, sagte er lächelnd zu
ihr, „daß Sie für mich die Erhörung eines Gebetes sind?“
    „Sie auch“, sagte Julia; und da dies
die letzten Worte waren, die er von ihr zu hören bekam, war es nur recht und
billig, daß sie ihn glücklich machten.
    Kaum war sie in dem Laden, fragte
Julia, ohne eine Sekunde zu verschwenden, die Verkäuferin, ob es einen
Hinterausgang gebe. Die Verkäuferin sah durch die

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