Die vollkommene Lady
aber nicht nach Aix —
und Julia redete unentwegt. Den Tee nahmen sie in einem komischen kleinen
Gasthaus, dessen Wirtin, die sie selbst bediente, ihnen freimütig mitteilte,
daß sie auch ein sehr hübsches Doppelzimmer habe; und Sir William fand gar
nichts dabei. „Das liegt natürlich an mir“, sagte Julia mit einer nicht
geringeren Offenherzigkeit. Sie war sehr um Sir Williams Würde besorgt. Sie
hatte sich schon fest vorgenommen, daß sie sich bemühen wollte, sich wie seine
Frau zu benehmen, falls er sie zufälliger- und wunderbarerweise auffordern
sollte — er würde es natürlich nicht tun, aber falls! —, mit ihm eine Reise zu
machen.
Sie kehrten gerade rechtzeitig zurück,
wie sie von Susan unterrichtet wurden, um sich zum Essen umzuziehen. Der
Anblick ihrer Tochter erweckte in Julia wie immer aufrichtigste Bewunderung. Aber
es schoß ihr durch den Kopf, daß es doch sehr eigenartig war, daß sie und Sir
William quer durch ganz Frankreich hierhergereist waren, nur zu dem Zweck, um
über Susans Heiratsabsichten zu beraten, und daß sie jetzt einen viel
interessanteren Anlaß entdeckt hatten, noch hierbleiben zu wollen,
*
„Hast du einen guten Frisör gefunden?“
fragte die alte Mrs. Packett bei Tisch. Sie war ziemlich kurzsichtig, und ihre
Frage enthielt daher gar keinen Hintergedanken. Aber daß Susan und Bryan, die
keineswegs kurzsichtig waren, ein diskretes Schweigen bewahrt hatten,
beunruhigte Julia sehr.
„Nein“, sagte Julia unverfroren. „Die
taugen alle nichts, ich muß es mal in Aix versuchen.“
17
D er Ausflug nach Aix fand statt, aber
Mrs. Packett kam auch mit. Julia versuchte gar nicht, sie davon abzubringen,
sie freute sich vielmehr über ihre Gesellschaft, denn sie war äußerst besorgt,
daß das neue Verhältnis zwischen ihr und Sir William entdeckt werden könnte.
Sie fürchtete Bryans scharfe Augen und seine nicht minder scharfe Zunge — nicht
so sehr für sich als für Sir William. Sie hätte es nicht ertragen können, ihn
auch nur einen Augenblick lang einer Verlegenheit ausgesetzt zu sehen. Lieber
zwängte sie sich selbst in eine Rüstung spartanischster Zurückhaltung, als daß
sie den kleinsten Bruchteil seiner Würde aufs Spiel gesetzt hätte. Niemand
durfte ahnen, daß sie überhaupt an Liebe dachte.
Wie schwer ihr das fiel! Denn wenn
Julia liebte, dann liebte sie begeistert, aus vollem Herzen. Wie gern hätte sie
ihr ganzes Benehmen, ihre Stimme, ihre geringste Handlung Sir William als
unvergleichlich unter den Sterblichen proklamieren lassen!
Da Julia seit alters her nicht viel mit
den feineren Nuancen zwischen „zu viel“ und „zu wenig“ anzufangen wußte,
versuchte sie es jetzt zunächst mit einer Maske vollständigster
Gleichgültigkeit und lehnte es als uninteressant ab, an einer Fahrt nach
Colombier teilzunehmen. Mit dem selbstverständlichen Ergebnis, daß jedermann
sogleich daraus folgerte, daß sie sich nicht wohlfühlen könne. Mrs. Packett schlug
ihr Aspirin vor, und Susan riet zu einem tüchtigen Spaziergang und bot sich als
Begleitung an. Das letzte war beunruhigend, und Julia — sie sah sich schon auf
einer dreistündigen Wanderung, fast ausschließlich bergauf — kehrte eiligst zu
ihrem normalen Selbst zurück.
In dieser Eigenschaft absolvierte sie
ein gut Teil frühmorgendlicher tete-à-tetes mit Sir William im Garten. Aber
Julia nahm — irrtümlicherweise — an, daß diese entweder unbemerkt bleiben oder
auf das Konto der Höflichkeit gegen einen Gast, der nicht wußte, was er mit
sich anfangen sollte, geschrieben werden würden.
Die erste Warnung kam,
merkwürdigerweise, von Anthelmine, der Köchin. Seit Sir Williams Ankunft hatten
die Karten ruhen müssen, und Anthelmine vermißte offensichtlich ihre Patiencen,
denn von Zeit zu Zeit tauchte sie aus ihrer Küche auf, schlurfte suchend unter
den Pinien umher und stapfte dann mißmutig zurück. Julia hatte Sir William
darauf aufmerksam gemacht, und er hatte über ihre Erläuterung lachen müssen.
Nachher wünschte sie allerdings, die Erläuterung hätte nicht stattgefunden,
denn Anthelmine schien unter den Pinien etwas entdeckt zu haben, was noch
interessanter war als Kartenlegen. Kaum waren Julia und Sir William allein
dort, tauchte Anthelmines suchender Blick häufiger und häufiger auf. Manchmal
kam sie mit wohlwollender Miene und einem kleinen Leckerbissen, einem Teller
Pflaumen oder ein paar frischgebackenen Petits fours;meistens aber kam
sie ganz einfach, um
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