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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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es mich mit verraten hätte. Aber ich ließ alles laufen,
erstens, weil ich so gern in ihren Augen gut erscheinen wollte, und dann, weil
es ihr so viel Kummer und Schmerz gemacht haben würde. Ich hab’ in Wirklichkeit
gar kein hartes Herz.“
    „Das ist wahr“, meinte Sir William.
    „Weißt du“, fuhr Julia ernst fort, „es
klingt vielleicht merkwürdig, wenn ich sage, daß ich ein junges Mädchen wie
Susan verstehe, aber es stimmt. Sie ist sehr eigensinnig und sehr stolz. Bryan
könnte sie enttäuschen, soviel er mag, sie würde ihn nie verlassen oder sich
scheiden lassen oder — oder irgend was anderes. Sie würde einfach weitermachen
und versuchen, ihr Gesicht zu wahren, und todunglücklich sein. Sie würde sich auf
öffentliche Wohlfahrt verlegen und an ihrem Kummer ersticken.“
    „Ja. Wohlfahrt dürfte Susan liegen“,
sagte Sir William. „Natürlich. Sie müßte im Parlament sein. Das meint ihre
Großmutter auch. Aber wie kann sie sich mit ganzem Herzen einer Sache zuwenden,
wenn sie unglücklich ist?“
    „Aber wäre sie nicht ebenso
unglücklich, wenn sie jetzt von Bryan getrennt werden würde?“
    „Aber doch nur kurze Zeit“, sagte Julia
eifrig. „Sie wird darüber hinwegkommen. Sie ist ja erst zwanzig. Wenn sie Bryan
jetzt nicht heiratet, wird sie lange nicht heiraten wollen, und das ist
vielleicht ganz gut. Susan braucht jemand, der älter ist als sie, der eine
Stellung hat, der sie verstehen und schätzen kann. Ich kann’s nicht recht
ausdrücken, aber sie braucht eher Ideen als Menschen. Sie hat selbst Ideen, und
noch dazu von sich selbst. Ich glaube tatsächlich, daß Bryan der erste Mann
ist, der unverschämt genug war, ihr eine Liebeserklärung zu machen, und jetzt
fühlt sie, daß sie sich selbst untreu werden würde, wenn sie ihn fallen ließe.
Du schläfst doch nicht etwa schon wieder?“
    „Nein“, sagte Sir William. „Ich denke.
Und ich glaube, du hast recht. Aber was, meinst du, kann ich da tun?“
    „Eine Menge“, sagte Julia. „Erstens
mußt du Bryan die Hölle ein wenig heiß machen. Sprich mit ihm über
Familienversorgung und darüber, wie Susans Geld festgelegt werden wird, und
frag’ ihn, wann er vor hat, mit der Arbeit anzufangen, und ob du seinen Vater
bald einmal treffen könntest. Er verabscheut so was, und wenn er sich drücken
kann, indem er sich nicht öffentlich verlobt, dann wird so bald nichts aus der
Verlobung. Und Susan — du mußt sie in London immer in deiner Nähe haben und
Gesellschaften geben, und sie möglichst viele nette Männer kennenlernen lassen.“
    Sir William bedachte das Programm, das ihm
da vorgelegt wurde, ohne größere Begeisterung.
    „Susan ist doch noch auf dem Colleg“,
wandte er ein. „Sie wird ihre französische Literatur nicht meinen
Geselligkeiten opfern wollen.“
    „Sie hat aber endlose Weihnachtsferien“,
antwortete Julia. „Solange sie im Colleg ist, hab’ ich keine Angst. Ein, zwei
Monate in ihrer eigenen Atmosphäre werden ihr nur gut tun — und übrigens darfst
du sowieso nicht zu bald mit dem Programm anfangen, sonst merkt sie die
verstimmende Absicht. Weihnachten ist gerade richtig.“
    „Aber ich kenne keine jungen Leute,
schon seit Jahren nicht mehr!“
    „Ich hab’ auch nicht junge gesagt, ich
sagte viele, nette. Ich weiß so gut wie du, daß Susan sich nichts aus Tanzen
machen wird. Ernst müssen die Leute sein, über soziale Probleme reden und so
was. Wenn sie etwa in einem Komitee mitmachen dürfte — sie würde sich großartig
unterhalten.“ Sir William stöhnte. „Mein Leben lang habe ich in Komitees
gesessen „
    „Na, siehst du!“
    „...und ich hab’ sie bis hierhin satt.
Gerade heute abend wollte ich mein letztes Rücktrittsgesuch schreiben.“
    „Rücktritt wovon?“ fragte Julia
lebhaft.
    „So eine Art Klub im East-End, mit viel
moderner Erziehung und allerlei komischen Ideen. Gestern abend schrieb mir der
Klubsekretär, ob ich nicht vorläufige Statuten aufstellen wollte und einen
Überschlag über die Unkosten und einen Entwurf zu einer Bitte an die
Öffentlichkeit.“
    „Und du willst es nicht tun?“
    „Ich schicke lieber einen Scheck. Von
jetzt ab bin ich die Öffentlichkeit!“
    Julia sprang auf, ihr Gesicht strahlte.
„Wir brauchen gar nicht mehr so lange zu warten!“ rief sie voller Freude. „Gerade,
was wir suchten — wo ist Susan?“
     
    *
     
    Susan war im Wintergarten damit
beschäftigt, die Vasen zurechtzumachen. Für Sir William, der Julias Abneigung
gegen

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