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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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dort vor seiner Hinrichtung inhaftiert gewesen war, hatte das Gebäude seine Bestimmung geändert und war zum offiziellen Kerker der Stadt geworden. Wenn man davorstand und über die Mauer spähte, wurde man mit einem atemberaubenden Blick auf die große Schleife der Moldau und die Stadtteile belohnt, die das Tal ausfüllten. Man wünschte sich, sich Flügel wachsen lassen zu können und hinauszuschwingen wie ein Adlerin dieses Panorama. Es war wie ein zusätzlicher Hohn für die Gefangenen, doch diese konnten den Ausblick höchstens einen flüchtigen Moment lang genießen, bevor sie in den Turm und dort in eines der dunklen Verliese gebracht wurden, wo die hoch oben angebrachten, unerreichbaren Sichtluken zwar schummriges Licht hereinließen, aber ihnen keinen Blick in die Freiheit hinaus gönnten.
    Agnes stapfte die letzten Treppenstufen empor, die aus den Eingeweiden des mächtigen Turms nach oben ins Licht führten, und sah blicklos über die Mauer. Die Menschen oben rückten beiseite. Man war höflich zueinander hier in dieser sich täglich neu formierenden Gruppe Verängstigter, deren Zahl immer größer wurde. Agnes wusste nicht, ob sich auch früher schon die Angehörigen der Inhaftierten in solcher Menge die Beine in den Bauch gestanden hatten, um Nachrichten oder Lebensmittel zu ihren Lieben zu bringen, doch sie nahm an, dass die immer größer werdende Anspannung im Reich und der nahende Krieg zu mehr Verhaftungen führten als sonst. Sie schnaubte. Hatte sie das nicht am eigenen Leib erfahren? Jemand wie Andrej von Langenfels wäre zu anderen Zeiten nicht auf die bloße Verleumdung eines Fremden hin eingekerkert worden.
    Selbstverständlich war Sebastians Auftritt in ihrem Schlafzimmer als Scharade geplant gewesen. Er musste seit Tagen Kenntnis von dem Briefwechsel zwischen Vilém Vlach und der Firma gehabt haben. Dass der Brünner Kaufmann gerade an dem Tag in Prag eintraf, an dem Sebastian Agnes zur Rede stellte, war kein Zufall gewesen, sondern die perfide Planung ihres ehemaligen Verlobten. Er hatte sogar daran gedacht, Wachen anzufordern, um die Verhaftung Andrejs sofort vorzunehmen. Das rosige Schwein, als das ihr Sebastian immer vorgekommen war, hatte sich in eine schwarze Spinne verwandelt, die um sie und ihre Familie ein erbarmungsloses Netz gesponnen hatte. Doch dann waren Sebastian seine eigeneFrustration und sein mieser Charakter in den Weg gekommen, und die Geschichte war außer Kontrolle geraten. Agnes war inzwischen klar geworden, dass es letztlich jedoch keine Rolle spielte. Niemand würde glauben, dass er über sie hergefallen war. Sebastians Schrammen waren immer noch zu sehen, während die einzigen Wunden, die Agnes empfangen hatte, die in ihrer Seele waren. Sebastian hatte fast alles geplant, und das, was außer Kontrolle geraten war, würde ihm sogar noch zum Vorteil gereichen.
    Man hatte sie wieder nicht zu Andrej vorgelassen. Ihre gleichbleibende Freundlichkeit zu den Wachen und die locker sitzenden Münzen hatten jedoch zumindest schon dazu geführt, dass man das frische Brot und die anderen Lebensmittel, die sie brachte, nicht vor ihren Augen selbst verzehrte, sondern versprach, sie dem Inhaftierten zukommen zu lassen. Nichts war Agnes schwerer gefallen, als die Ruppigkeit und Arroganz der Kerkerbesatzung zu ignorieren. Sie hatte an Cyprians einen manchmal zur Weißglut bringende Ruhe gedacht, wenn er in solchen Situationen steckte, und daraus die Kraft bezogen, nicht anders zu handeln, als er es getan hätte. Sie war weiß Gott sicher gewesen, dass den Wachen ihre Scheinheiligkeit auffallen würde, doch im Nachhinein ahnte sie halb und halb, dass diese nicht oft freundliche Worte zu hören bekamen und daher leicht einzuwickeln waren, wenn man so tat, als empfände man sie als im Grunde aufrechte Burschen, die nur ihre Pflicht taten.
    Prag breitete sich im golden werdenden Nachmittagslicht zu ihren Füßen aus. Die Obstgärten auf den Hängen rund um die Stadt waren wie schneeflirrende Flecken inmitten der Felder, doch es waren nur die Blüten an ihren Zweigen. Die Hecken und Waldstückchen, die da und dort stehen geblieben waren, leuchteten saftgrün. Sie holte Atem, wider Willen berührt von der Schönheit. Erneut hatte sie fast einen ganzen Tag hier verbracht, ohne ihren Bruder gesehen zu haben. IhreSöhne vermissten sie, und ihre Tochter schien im Umgang mit ihr immer kühler zu werden. Agnes schrieb es dem Umstand zu, dass sie das Haus und die Familie mit ihrem ungebetenen

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