Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
keuchende und sich die Seite haltende Wenzel ihr zweimal hatte schildern müssen, damit sie es einmal verstand.
»Dieser fette Idiot!«
Heinrichs Ausbruch kam so überraschend, dass sie zusammenzuckte. Einen Moment lang glaubte sie, in seinen Zügen eine Wut auflodern zu sehen, die ihn hässlich machte wie ein Tier. Alexandra blinzelte, und der Gesichtsausdruck war verschwunden. Sie schluckte und schob die Erinnerung daran verwirrt beiseite.
»Wenzel versucht, meine Mutter im Gefängnis zu erreichen und sie zu warnen.«
»Alexandra! Hör mir zu. Wir brechen noch heute Abend nach Pernstein auf!«
»Aber … aber ich … ich kann doch meine Mutter und meine Brüder jetzt nicht …«
»Deine Mutter kann für sich selbst sorgen. Willst du in den Kerker geworfen werden?«
»Nein, aber …«
»Glaubst du, die Wärter lassen dich in Ruhe, wenn du erst dort bist? Glaubst du, jemand würde sich dafür interessieren, was sie mit dir anstellen, der Angehörigen eines Hochverräters und Tochter von Dieben?«
»Aber … meine Mutter …«
Heinrich packte sie an den Oberarmen. Seine strahlend blauen Augen waren voller Sorge darüber, dass man …
… ihn …?
… mit der Sache in Verbindung bringen würde? Sie meinte auf einmal, in seinen Zügen und in seinen Augen lesen zu können, dass seine Gedanken ausschließlich seiner eigenen Person galten und dass ihn auf geheimnisvolle Weise etwas mit der Tat verband, die Sebastian Wilfing in seiner Denunziation geschildert hatte, der Tat, von der sie ebenso wie Wenzel wusste, dass sie – allerdings anders als von Sebastian geschildert – tatsächlich stattgefunden hatte. Aber was hatte Heinrich …?
… ihr etwas antun würde, und der Schimmer von Wut, der noch immer darin zu sehen war, galt der abgrundtiefen Bösartigkeit Sebastian Wilfings. Alexandra merkte, dass ihr kalt geworden war. Heinrich zog sie zu sich heran. Ihr war, als strecke ein Krake seine Tentakel nach ihr aus, und sie versteifte sich, aber dann verschwanden alle Zweifel und alle halb geahnten Verdächtigungen vor dem Klopfen ihres Herzens, das sie seiner Berührung verdankte, und sie schmiegte sich an ihn.
»Deine Mutter«, sagte er, »ist nicht in Gefahr. Aber glaub mir, an dich würden sie sich heranmachen. Willst du dir das antun – oder deiner Mutter, dass sie mit ansehen muss, wie sie …?«
»Hör auf«, sagte sie erstickt.
»Entschuldige.«
Sie löste sich von ihm.
»Ich bereite alles vor.«
»Hinterlass auf keinen Fall eine Botschaft. Und sag nichts zu Sebastian Wilfing!«
»Aber wie soll meine Mutter denn dann …?«
»Wir lassen ihr eine Nachricht zukommen, wenn wir in Pernstein sind.«
»Das kann ich ihr nicht antun!«
»Liebes, wir sind ab heute Abend Flüchtlinge!«
Es brachte ihr Herz zum Glühen, dass er »wir« gesagt hatte.
»Ich habe eine Idee. Leona – das ist Mutters alte Kindermagd – lebt seit Wochen bei uns. Sie wäre beinahe gestorben, aber mittlerweile geht es ihr wieder besser. Sie hat erklärt, dass sie nach Hause möchte. Sebastian wollte sie bereits vor die Tür setzen, als sie noch bettlägerig war. Ich werde ihm sagen, dass ich sie nach Hause begleite. Dann weiß meine Mutter zumindest, dass ich nicht spurlos verschwunden bin.«
Sie bemerkte sein Zögern, schrieb es aber der Überraschung über ihren Einfall zu. »Wo kommt die alte Frau her?«
»Aus Brünn.«
»Das ist zu nahe an Pernstein.«
»Wir machen es so oder gar nicht«, hörte sie sich sagen. Er musterte sie, dann lächelte er plötzlich. Sie hielt den Atem an. Hatte ihre Stimme tatsächlich so barsch geklungen? Stellte sie ihm etwa ein Ultimatum, ihm, der nichts wollte, als dass es ihr gut ging? Wenn sie ihn vor den Kopf stieß, wer würde ihr dann helfen? Sie hatte nur ihn.
Wenn er dich wirklich liebt, kannst du ihn mit so etwas nicht vor den Kopf stoßen, sagte eine Stimme in ihrem Kopf, die nicht durchdrang.
»Leona wird keine Last sein«, sagte sie.
»Ich bin sicher, dass ich mit ihr umzugehen weiß«, sagte Heinrich. Sein Lächeln wurde breiter, und sie fiel einmal mehr auf dieses Lächeln herein und verging vor Liebe zu ihm.
8
Das Gefängnis von Prag befand sich in der weitläufigen Burganlage, direkt an einem der steilen Abbrüche des Hügels zur Stadt hinunter. In der ursprünglichen Planung hatte es sich um einen Befestigungsturm gehandelt. Seit der in der ganzen Prager Bevölkerung beliebte und zu einer Legende gewordene aufständische Ritter Dalibor von Kozojed
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